Herz, Niere & Co.: Der große Unterschied

Ob gesund oder krank: In einigen Organsystemen sind Unterschiede zwischen den Geschlechtern besonders deutlich ausgeprägt. Das gilt etwa für das Herz-Kreislaufsystem und den Stoffwechsel. Sie zu erforschen, ist wichtig für eine personalisierte Medizin. 

Ärztin hält rotes Kunststoffherz zwischen ihren Händen

Frauen und Männer sind unterschiedlich von Herz-Kreislauf-Erkrankungen betroffen.

Alexander Raths / Adobe

Die biologischen Unterschiede zwischen Frauen und Männern wirken sich darauf aus, wie Organe und Stoffwechsel funktionieren, wie sich Erkrankungen äußern und wie Medikamente wirken.

Das andere Herz

Stärker ausgeprägt als bei vielen anderen Organsystemen sind die geschlechterspezifischen Unterschiede bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Sie sind in Deutschland bei Frauen und Männern noch immer die häufigste Todesursache. Zwar sind Männer deutlich häufiger von einem Herzinfarkt betroffen. Dieser verläuft bei Frauen jedoch häufiger tödlich. Das zeigen aktuelle Zahlen der Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamtes.  

Bereits Ende der 1980er Jahre stellte die US-amerikanische Kardiologin Marianne Legato Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Personen mit Herzerkrankungen fest. Ihre Arbeiten hatten einen wichtigen Einfluss auf die Entwicklung der modernen Gendermedizin. Seither hat sich das Verständnis für geschlechterspezifische Unterschiede bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich verbessert. Im klinischen Alltag werden die neuen Erkenntnisse aber immer noch zu selten berücksichtigt.

Der weibliche Herzinfarkt

Wenn bei einem Herzinfarkt die Herzkranzgefäße akut verstopfen, erreicht den Pumpmuskel zu wenig sauerstoffreiches Blut. Die Folge: Herzgewebe stirbt ab. Wenn Beschwerden auftreten, gilt es daher, schnell zu handeln. Dabei haben Frauen und Männer jedoch häufig ganz unterschiedliche Symptome:  

Bei Männern: plötzlicher Brustschmerz, der in den linken Arm, Rücken oder Oberkiefer ausstrahlen kann, als Hauptsymptom

Bei Frauen: Atemnot, unerklärliche Müdigkeit, Nackenschmerzen, vermehrtes Schwitzen, Übelkeit oder Erbrechen, Schmerzen im Oberbauch oder in der rechten Körperhälfte

 Betroffene Frauen mit einem Herzinfarkt ordnen ihre Symptome oft nicht einem Herzinfarkt zu, und wählen deshalb später den Notruf. Die MEDEA-Studie (Munich Examination of Delay in Patients Experiencing Acute Myocardial Infarction), an der unter anderem das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislaufforschung (DZHK) beteiligt war, zeigte: Bei Frauen über 65 Jahren vergehen mit Symptomen eines Herzinfarktes im Schnitt über viereinhalb Stunden, bis sie in die Notaufnahme kommen – bei Männern gleichen Alters dauert es nur dreieinhalb Stunden. Je länger der Infarkt jedoch unbehandelt bleibt, desto mehr Herzgewebe stirbt ab und desto gravierender ist die spätere Herzschwäche – vorausgesetzt, die Patientin überlebt.

Auch Medizinerinnen und Medizinern fehlt oft das Wissen über die Symptom-Unterschiede: Das führt manchmal dazu, dass in den Notaufnahmen ein Herzinfarkt bei Frauen nicht oder erst verzögert erkannt wird oder als ein anderes Leiden fehlgedeutet wird.

Wie Herzmedikamente wirken

In der Erforschung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen geraten geschlechterspezifische Unterschiede zunehmend in den Blick. Forschende wollen verstehen, warum Frauen- und Männerherzen unterschiedlich „ticken“. Wie erklärt sich der schützende Effekt der Geschlechtshormone, wie der Östrogene, auf die Herzzellen und das Herz-Kreislaufsystem? Was passiert, wenn der Östrogenspiegel nach den Wechseljahren absinkt?

Ein anderer Aspekt ist die unterschiedliche Wirkung mancher Herzmedikamente bei Frauen und Männern. In vielen Fällen ist eine geringere Dosierung bei Frauen ausreichend. Das führt auch zu weniger Nebenwirkungen und steigert bei den Patientinnen die Bereitschaft, ihre Medikamente weiterhin regelmäßig einzunehmen. Für eine stetig wachsende Liste an Medikamenten in der Kardiologie sind geschlechterspezifische Besonderheiten bei der Wirkung und Anwendung bekannt. Für ihre Erforschung sind klinische Studien notwendig, in denen Frauen angemessen repräsentiert sind.

NAKO Gesundheitsstudie: Datenschatz für geschlechtersensible Medizin

Die unter anderem vom BMFTR geförderte NAKO Gesundheitsstudie ist Deutschlands größte Langzeit-Bevölkerungsstudie. Auch für die Erforschung geschlechterspezifischer Aspekte bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen hat sie sich als wichtiger Datenschatz erwiesen.

So auch bei der Erforschung soziokultureller Aspekte: Eine Studie koordiniert von Berliner Forschenden ergab, dass Frauen mit niedrigem sozioökonomischem Status im Vergleich zu Personen mit hoher Bildung und hohem Einkommen ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufweisen als die vergleichbare Gruppe an Männern. Pressemeldung NAKO

Darüber hinaus hat ein Forschungskonsortium aus Halle basierend auf einer Analyse von Daten und Proben der NAKO herausgefunden, dass der Harnsäurespiegel im Blut mit dem Risiko für Gefäß-Erkrankungen verknüpft ist. Dieser Zusammenhang war bei Frauen stärker ausgeprägt als bei Männern.  Pressemeldung NAKO

 

Frauen häufiger nierenkrank, aber schlechter versorgt

Etwa zehn Prozent der Weltbevölkerung leiden unter einer chronischen Nierenkrankheit. Es handelt sich um eine schwere Erkrankung, bei der die Nieren zunehmend schlechter arbeiten. Betroffene haben ein höheres Risiko für Nierenversagen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie für entsprechende Krankenhausaufenthalte. 

Frauen sind häufiger von chronischer Nierenkrankheit betroffen als Männer, erhalten aber laut aktueller klinischer Studien eine schlechtere medizinische Versorgung, zum Beispiel weniger Früherkennung, weniger Medikamente und weniger Dialysen. Aktuelle Forschungsprojekte analysieren, wie sich soziale und kulturelle Einflüsse (zum Beispiel Gender) auf Diagnose und Therapie auswirken. Forschende untersuchen auch genetische und andere biologische Risikofaktoren der chronischen Nierenkrankheit.

Leitlinien zur Chronischen Nierenkrankheit (CKD) auf dem Prüfstand

Chronische Nierenerkrankung: Das Geschlecht macht einen Unterschied

Diabetes präziser behandeln

Frauen erkranken zwar seltener an der Stoffwechselstörung Diabetes mellitus als Männer. Wenn sie jedoch einen Diabetes entwickeln, sind Insulinresistenz, bei der die Körperzellen nicht mehr richtig auf Insulin reagieren, und Adipositas ausgeprägter. Das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS) als hormonell gesteuerte Erkrankung, eine Schwangerschaft oder die Wechseljahre können das Diabetes-Risiko erhöhen.

Aktuelle Studien deuten zudem darauf hin, dass Frauen länger von Begleiterkrankungen des Diabetes betroffen sind, darunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfall. Forschende am Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) gehen den geschlechterspezifischen Unterschieden auf den Grund, um Diabetes künftig präziser behandeln zu können.

Geschlechtsspezifische Unterschiede bei Diabetes