Frauengesundheit erforschen

Frauen werden anders krank als Männer und bedürfen einer auf sie zugeschnittenen Medizin. Dieses Dossier beleuchtet, wie geschlechtersensible Gesundheitsforschung neues Wissen über Frauengesundheit schafft und den Weg für eine bessere Versorgung ebnet.

Frauen aus verschiedenen Regionen der Welt stehen nebeneinander

Frauen benötigen eine Medizin, die ihre Besonderheiten anerkennt. Von einer geschlechtersensiblen Medizin profitieren nicht nur sie, sondern alle Geschlechter.

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Weibliche und männliche Körper unterscheiden sich, bis hinein in jede einzelne Zelle. Die Folge: Frauen benötigen oft eine andere medizinische Behandlung als Männer, eine andere Dosierung von Medikamenten und eine andere ärztliche Wachsamkeit. Lange Zeit richtete sich beim Thema Frauengesundheit der medizinische Blick vorrangig auf die Geschlechtsorgane der Frau. Ansonsten war die Medizin am männlichen Körper ausgerichtet und die Geschlechter galten in gesundheitlicher Hinsicht als austauschbar.

Inzwischen ist klar, dass Frauen im Vergleich zu Männern auf unterschiedliche Art und Weise auf Medikamente reagieren können, unterschiedlich oft und schwer von bestimmten Erkrankungen betroffen sind und oftmals unterschiedliche Symptome aufweisen. Diese Besonderheiten zu erforschen und in der Behandlung zu berücksichtigen, ist das Ziel der geschlechtersensiblen Medizin. Sie berücksichtigt sowohl die biologischen als auch die soziokulturellen Faktoren, um allen Menschen eine möglichst geschlechtergerechte, personalisierte Medizin anbieten zu können.

Was ist Frauengesundheit?

Im Kontext der geschlechtersensiblen Medizin betrachtet sie alle Gesundheitsbereiche, die Frauen betreffen, dabei werden sowohl biologische (Sex) als auch soziokulturelle Geschlechteraspekte (Gender) berücksichtigt. Im Fokus stehen Erkrankungen und Gesundheitszustände, die ausschließlich Frauen betreffen, die Frauen überwiegend oder anders als andere Geschlechter betreffen.

Was ist der Gender Health Gap?

Es besteht eine systematische Gesundheitslücke zwischen den Geschlechtern, der sogenannte Gender Health Gap. Er beschreibt eine Unausgeglichenheit in der medizinischen Versorgung von Männern und Frauen aufgrund einer fehlenden Datengrundlage. Denn falsche und verzögerte Diagnosen – etwa eines Herzinfarkts oder einer Depression – können zu einer schlechteren Behandlung oder gar zum Tod führen.

Prof. Dr. Anke Hinney

Wie ist diese Daten- und Wissenslücke in der Medizingeschichte entstanden? Historisch bedingt dominierten Männer die medizinische Lehre an den Fakultäten, Männer wurden zum Standard der Medizin. Der weibliche Blick in der medizinischen Forschung wurde erst viel später berücksichtigt. Nicht zuletzt hat die Frauenbewegung dafür gesorgt, dass die Medizin sich endlich stärker mit den Besonderheiten des weiblichen Körpers auseinandersetzte.

Vom Laborversuch bis zur klinischen Studie: Das weibliche Geschlecht ist unterrepräsentiert

Ein anderer wichtiger Grund liegt darin, dass durch den weiblichen Zyklus der Hormonspiegel bei Frauen ständigen Schwankungen unterworfen ist. Das macht die Auswertung von Experimenten in der medizinischen Forschung komplizierter. In Laborversuchen wurde der Einsatz weiblicher Tier- oder Zellmodelle daher lange vermieden. Ähnlich sah es bei der Medikamentenentwicklung aus: Bis in die 1990er-Jahre wurden klinische Studien größtenteils an Männern durchgeführt und die Ergebnisse auf Frauen übertragen. Medikamenten-Nebenwirkungen bei Frauen wurden so erst entdeckt, als die Arzneien bereits auf dem Markt waren. Doch es findet ein Umdenken statt. Bedeutend hierfür war die Erkenntnis, dass die biologischen Unterschiede zwischen Frauen und Männern die Wirksamkeit und die Verträglichkeit von Arzneimitteln beeinflussen.

Geschlechtsspezifische Analysen nun verpflichtend

Seit 2001 hat die Europäische Kommission geschlechts- und genderspezifische Analysen verpflichtend für das Design von Forschungsprojekten vorgeschrieben. Das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) unterstützt diesen Ansatz bereits seit Beginn der Förderung von klinischen Studien im Jahr 2003. Ende Januar 2022 trat zudem eine EU-Verordnung in Kraft, nach der Probandinnen und Probanden für klinische Studien repräsentativ nach Alters- und Geschlechtsgruppen ausgewählt werden müssen.

Geschlecht und Alter werden bei der Forschungsplanung, -durchführung und -analyse zukünftig also immer mitgedacht. Eine geschlechtsspezifische Auswertung von Studienergebnissen bedeutet auch: Der Forschungsprozess gestaltet sich komplexer, komplizierter und kostenintensiver. Letztlich liefert dieses Vorgehen aber bessere Daten und bessere Ergebnisse – für alle Geschlechter.

Geschlechtersensible Medizin im Fokus

Lange stand das Thema Frauengesundheit in der Forschungsförderung im Hintergrund. Auch die Gesundheitswirtschaft investierte nur zurückhaltend in Innovationen zum Thema. Doch aufgrund des Wissens um geschlechtsspezifische Unterschiede ändert sich das gerade. Eine geschlechtersensible Diagnostik und Behandlung von Gesundheitsproblemen könnte dafür sorgen, dass es Millionen Menschen in allen Lebensphasen mental und körperlich besser geht. So ist unter anderem auch der große ökonomische und gesellschaftliche Nutzen der Geschlechterforschung in den Fokus gerückt. Jeder und jede Einzelne soll zukünftig die bestmögliche Therapie erhalten.

Geschlechtersensible Medizin steht in Europa und Deutschland zunehmend auf der forschungspolitischen Agenda, und Forschungsförderer bringen das Thema voran. Um die Datenlücke zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in der klinischen Forschung zu schließen, hat das BMFTR eine Fördermaßnahme aufgelegt, um die oben beschriebene Datenlücke zwischen den Geschlechtern in der medizinischen Forschung zu verringern. Insgesamt werden 43 Forschungsprojekte mit rund 5,7 Millionen Euro gefördert. Diese erfassen beispielsweise systematisch den aktuellen Wissensstand zu geschlechtsspezifischen Therapien bei bestimmten Krankheitsbildern und werten ihn aus – oder generieren neues Wissen. Im Fokus steht dabei ein breites Spektrum an Krankheiten,  von Herz-Kreislauf-Erkrankungen über Krebs bis hin zu Depressionen – und umfasst auch Untersuchungen beispielsweise zu unterschiedlichem Schlaf- oder Rauchverhalten.

Auch in der akademischen Forschungslandschaft etabliert sich das Thema geschlechtersensible Medizin. Immer mehr Hochschulen richten Lehrstühle ein und berücksichtigen es zunehmend in der Lehre. Zum Beispiel an der Charité – Universitätsmedizin in Berlin, an den Universitäten in Bielefeld und Duisburg-Essen oder an der Universität des Saarlandes. In Magdeburg ist die erste Vollzeit-Professur für geschlechtersensible Medizin und Prävention mit klinischer Tätigkeit angesiedelt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert Schwerpunktprogramme und Sonderforschungsbereiche zum Thema.

Warum alle Geschlechter profitieren

Frauengesundheit besser zu erforschen und zu verstehen wirkt sich auch auf die Gesundheit von Männern und nicht-binären Menschen aus. Denn geschlechtersensible Medizin ist keine Frauenmedizin. Bei Erkrankungen wie Osteoporose, Depression, Brustkrebs oder Autoimmunerkrankungen ist etwa der männliche Körper nicht gut verstanden. Auch für Trans-Menschen ist die Datenlage dünn. Frauengesundheit ist als zentrale Säule der geschlechtersensiblen Medizin einzuordnen, die auf eine bessere Behandlung aller Menschen abzielt.