September 2025

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Statine senken Cholesterinwerte, helfen aber nicht bei Depressionen

Weniger ist oft mehr − auch bei der Behandlung von Depressionen: Eine zusätzliche Verordnung von Statinen hat keinen Einfluss auf die Schwere dieser psychischen Erkrankung, wie eine kontrollierte klinische Studie nachwies.

Ultraschall eines Bauches

Hohe Cholesterinwerte können zu Gefäßschäden und Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. Statine sind bei dauerhaft erhöhten Werten eine gängige Behandlungsoption.

Adobe/ Pitchy

Menschen, die unter einer Depression leiden, neigen oft auch zu Adipositas – und umgekehrt. Somit bilden zwei der häufigsten Erkrankungen ein gefährliches Gespann, das sich gegenseitig verstärken kann. Wie gut wäre es da, wenn ein Medikament gegen eine dieser Erkrankungen sich auch positiv auf die andere auswirkt.

Doch dem ist nicht so, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Charité – Universitätsmedizin Berlin mit einer groß angelegten Studie nachweisen konnten. Sie untersuchten, ob Fettsenker − sogenannte Statine – eine zusätzliche antidepressive Wirkung aufweisen. Auf diesen möglichen Effekt hatten die Ergebnisse kleinerer Untersuchungen im Vorfeld hingewiesen. Die Ergebnisse der aktuellen Studie, die in dem in Fachkreisen sehr angesehenen Journal JAMA Psychiatry veröffentlicht wurden, können dazu beitragen, unnötige Behandlungen mit Statinen zu vermeiden.

Statine gehören zu den Medikamenten, die weltweit am häufigsten verschrieben werden. Sie senken die Cholesterinproduktion in der Leber, wirken entzündungshemmend und vermindern so das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen – und werden daher häufig bei Adipositas eingesetzt. „Menschen, die unter einer Depression leiden, weisen oft ebenfalls leicht erhöhte Entzündungswerte auf, eventuell sind diese sogar bei einigen der Patientinnen und Patienten der Grund für die Erkrankung“, erläutert Professor Dr. Christian Otte, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Charité. „Daher lag die Annahme nahe, dass Statine aufgrund ihrer entzündungshemmenden Wirkung auch einen positiven Einfluss auf eine Depression ausüben könnten. Diese Annahme konnten wir allerdings durch unsere klinische Studie widerlegen“, so Otte. Der Mediziner leitete die durch das Bundesforschungsministerium geförderte Studie.

Eine Studie mit hohen Qualitätsansprüchen

An der klinischen Studie nahmen 161 Patientinnen und Patienten teil, die zeitgleich an Adipositas und Depression erkrankt waren. Alle Teilnehmenden wurden über einen Zeitraum von zwölf Wochen mit einem Antidepressivum behandelt. Die Hälfte von ihnen erhielt zusätzlich ein Statin, die andere Hälfte ein Placebo. Die Zuteilung zu einer der beiden Gruppen fand nach dem Zufallsprinzip statt und wurde sowohl den behandelnden Ärztinnen und Ärzten als auch den Teilnehmenden erst nach Abschluss der Studie mitgeteilt. Diese Vorgehensweise, die als „randomisiert und doppeltblind“ bezeichnet wird, gilt als wichtige Voraussetzung für wissenschaftlich belastbare Ergebnisse.

Die Schwere der Depression erfassten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Beginn und zum Ende der Studie mithilfe klinischer Interviews sowie anhand von Selbstauskunfts-Fragebögen. Zudem überwachten sie die Höhe der Cholesterin- und Entzündungswerte im Blut der Patientinnen und Patienten.

An der Durchführung der klinischen Studie waren neben der Berliner Charité die Unikliniken Frankfurt, Greifswald, Hamburg, Hannover, Leipzig, Lübeck sowie das Hanseklinikum Stralsund beteiligt. Die statistischen Analysen wurden von der Biometrie der Uniklinik Göttingen durchgeführt. Zudem war eine Vertreterin der Deutschen Depressionshilfe von Beginn an in die Planung und Durchführung der Studie eingebunden.

Systematische Reviews und Studien mit hoher Relevanz für die Patientenversorgung

Für viele Diagnose- und Therapiemaßnahmen liegt derzeit noch kein wissenschaftlicher Nachweis des Nutzens vor – man spricht von Lücken in der medizinischen Evidenz bzw. Evidenzlücken. Sie zu schließen, ist Ziel der 2013 vom Bundesforschungsministerium (BMFTR) initiierten Fördermaßnahme „Klinische Studien mit hoher Relevanz für die Patientenversorgung“. Klinische Studien und Systematische Reviews sind zentrale Elemente der klinischen Forschung und helfen, Forschungserkenntnisse möglichst zügig in den klinischen Alltag zu bringen und die Qualität der medizinischen Versorgung sicherzustellen. Auch die aktive Einbindung von Patientinnen und Patienten in die Konzeptentwicklung von Studien und Reviews und zahlreiche Einzelprojekte werden über die Maßnahme und ihre jeweiligen Module gefördert.

 Antidepressiva als medikamentöser Goldstandard − Statine nur bei hohen Cholesterinwerten

Eine antidepressive Wirkung der Statine konnte durch die Studie nicht bestätigt werden. Zwar verbesserte sich die Schwere der Depression bei allen Patientinnen und Patienten deutlich – allerdings unabhängig davon, ob sie Statine einnahmen oder nicht. Beobachten konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler lediglich den erwartbaren positiven Einfluss der Statine auf Stoffwechsel- und Entzündungsmarker. „Klassische Antidepressiva bleiben daher nach jetzigem Kenntnisstand der Goldstandard für die Behandlung von Depressionen. Statine sollten nur dann zusätzlich gemäß der aktuellen Leitlinien verordnet werden, wenn aufgrund hoher Cholesterinwerte eine Gefahr für Herz und Kreislauf des Erkrankten besteht – und das unabhängig davon, ob eine Depression vorliegt oder nicht“, so PD Dr. Woo Ri Chae, Co-Erstautorin der Studie.

Im nächsten Schritt wird das Forschungsteam die während der Studie gewonnenen Blutproben weiterführend zellulär und molekular untersuchen, um mögliche individuelle Unterschiede oder Muster zu erkennen. Ihr Ziel ist es, die Therapieoptionen bei Depression zu verbessern, insbesondere bei Menschen, die gleich unter mehreren Erkrankungen leiden.

Originalpublikation:
Otte, C*., Chae*, W. R., Dogan, D. Y., et al. (2025): Simvastatin as add-on treatment to escitalopram in patients with major depression and obesity: a randomized clinical trial. JAMA Psychiatry. 2025 Jun 4:e250801. DOI: 10.1001/jamapsychiatry.2025.0801

Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Christian Otte
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Campus Benjamin Franklin
Hindenburgdamm 30
12203 Berlin
Tel.: 030 450-517531
christian.otte@charite.de