Hier wird Empfindlichkeit zum Vorteil: Forschungsteams im CLINSPECT-M-Konsortium arbeiten daran, Massenspektrometrie als Diagnosemethode in Kliniken zu etablieren – im ersten Schritt für Schlaganfall, Multiple Sklerose, Alzheimer und Gehirntumore.
Arbeiten am Massenspektrometer
TUMCCC
Obwohl die Massenspektrometrie schon über 100 Jahre alt ist, lassen sich Proteine erst seit rund 30 Jahren damit untersuchen. Erst da hat die Wissenschaft herausgefunden, wie man Proteine so behandelt, dass sie im Hochvakuum des Massenspektrometers nicht zerfallen. Heute ist außerdem klar: Ohne Proteine würde im Körper fast nichts funktionieren. Sie steuern fast alle Prozesse und die meisten Medikamente wirken direkt auf sie. Das Projekt CLINSPECT-M widmet sich der methodischen Weiterentwicklung der Massenspektrometrie. Die Forschenden wollen zeigen, dass diese Methode für die Diagnose von Krankheiten funktioniert und sie in Kliniken etablieren. Inhaltlich beschäftigen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Proteinforschung und haben dabei vor allem vier neurologische Erkrankungen im Blick: Schlaganfall, Multiple Sklerose, Alzheimer und Gehirntumore.
Vier Krankheiten – vier Herausforderungen
Jede dieser Erkrankungen bringt unterschiedliche Herausforderungen mit sich. Beim Schlaganfall suchen Forschende nach Proteinen, die eine schnelle und eindeutige Diagnose erlauben. Da die Symptome nicht immer klar erkennbar sind, ist die Diagnose bisher häufig schwierig. Bei Alzheimer bleibt bisher oft unklar, warum manche Patientinnen und Patienten auf eine Therapie ansprechen und andere nicht. Die Forschenden suchen Proteine, die diesen Unterschied erklären. Bei Gehirntumoren wiederum sind bereits viele krankheitsbezogene Proteine bekannt. CLINSPECT-M sucht für dieses Krankheitsbild auch nach Proteinen, an denen Medikamente ansetzen können. Hier geht es neben der Diagnose also auch um Therapiemöglichkeiten.
Die vierte Krankheit, mit der sich CLINSPECT-M beschäftigt, ist Multiple Sklerose. Hier ist im Projektverlauf bereits ein wirklicher Durchbruch erzielt worden: Die Forschenden konnten Proteinmuster identifizieren, die für diese Erkrankung spezifisch sind. Nach Einschätzung des zuständigen Arbeitsgruppenleiters, Professor Dr. Bernhard Hemmer, Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum der Technischen Universität München, gelingt eine Diagnose damit sogar zuverlässiger als mit dem bisherigen Verfahren. Über 5.000 Patientendaten hat die Arbeitsgruppe dafür untersucht und steht kurz vor der Publikation der Ergebnisse.
Professor Dr. Bernhard Küster
Andreas Heddergott/TUM
Massenspektrometer findet auch selten vorkommende Proteine
Die Massenspektrometrie bietet dabei als Methode in allen vier Einsatzfeldern entscheidende Vorteile. Zum einen ist sie extrem empfindlich. CLINSPECT-M-Projektsprecher Dr. Bernhard Küster, Professor für Proteomik und Bioanalytik an der Technischen Universität München, veranschaulicht das so: „Stellen Sie sich vor, Sie werfen ein Stück Würfelzucker in den Bodensee und rühren um. Das Massenspektrometer kann trotzdem nachweisen, dass Zucker im Wasser ist.“ Diese hohe Empfindlichkeit ist wichtig, weil manche Proteine im Körper sehr häufig vorkommen (etwa Kollagen), während andere hundert Millionen Mal seltener sind (zum Beispiel hormonelle Botenstoffe). Das Massenspektrometer findet sie trotzdem. Zum anderen kann die Methode komplizierte Proteinmischungen verarbeiten. Von bis zu 20.000 möglichen Proteinen in einer Probe lassen sich bis zu 12.000 in nur einem Experiment analysieren. Bei normalen Blutuntersuchungen braucht man oft ein Experiment für den Nachweis eines einzigen Stoffes.
Aus der Forschung in den Klinikalltag
Deutschland ist in diesem Bereich nach Küsters Einschätzung im internationalen Vergleich sehr gut aufgestellt, sowohl in Bezug auf die technische Entwicklung von Massenspektrometern als auch auf den Stand der Wissenschaft. Zudem sei die Community gut vernetzt. Der „kurze Draht“ zu Herstellern hilft CLINSPECT-M, wenn es darum geht, die Massenspektrometrie als klinische Diagnosemethode zu etablieren, und wird wichtig, wenn es später darum geht, das Gerät aus der Forschung in die Klinik zu bringen. Gefragt nach einem Zeitplan, wann die Methode in Krankenhäusern wirklich einsatzbereit sein wird, bleibt Küster vorsichtig: „Mich rufen Eltern krebskranker Kinder an und fragen, wann die neue Methode für sie da ist. Ich will keine falschen Hoffnungen wecken.“ Realistisch betrachtet könnten Massenspektrometer in fünf Jahren in klinischen Studien eingesetzt werden. Wenn sie sich dort bewähren, könnten sie in rund zehn Jahren tatsächlich in Kliniken stehen. „Wir sprechen über Diagnosemöglichkeiten von übermorgen, nicht von morgen“, fasst Küster zusammen.
Massenspektrometrie für die Medizin von morgen
Das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) unterstützt das Forschungsprojekt CLINSPECT-M im Rahmen der Förderrichtlinie „MSCoreSys – Forschungskerne für Massenspektrometrie in der Systemmedizin“. Das Ziel der Initiative: Die Massenspektrometrie, eine hochpräzise Messtechnik zur Bestimmung von Molekülen, soll in der medizinischen Forschung und Versorgung fest etabliert werden. Diese Technologie macht es möglich, Tausende Biomoleküle wie Proteine, Fette oder Stoffwechselprodukte zu analysieren – und somit Krankheiten besser zu verstehen, früher zu diagnostizieren und gezielter zu behandeln. An insgesamt vier Standorten in Deutschland sind seit 2019 hochmoderne Forschungszentren mit jeweils eigenem medizinischem Schwerpunkt entstanden. Insgesamt investiert das BMFTR für die Förderlinie rund 77 Millionen Euro. Über gemeinsame Summer Schools, Workshops und Vernetzungsformate arbeiten die Standorte eng zusammen, um ihre Erkenntnisse zu bündeln und die Massenspektrometrie als Schlüsseltechnologie der modernen Medizin weiter voranzubringen.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Bernhard Küster
TUM School of Life Sciences
Technische Universität München
Emil-Erlenmeyer-Forum 5
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