Juli 2025

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Probiotika für einen guten Start ins Leben

Möglichst gute Bedingungen für den Start ins Leben: Darauf sind vor allem Frühgeborene angewiesen. Bestimmte Probiotika, die in der Muttermilch, aber auch in Fertignahrung enthalten sind, können helfen – denn sie fördern die Reifung der Darmflora.

Die Füße eines Frühchens mit Verband und Schläuchen

Ein Ergebnis der PRIMAL-Studie: Bestimmte Probiotika – in der Muttermilch vorkommende Mikroorganismen, aber auch ergänzende Bestandteile industriell hergestellter Babynahrung – fördern die Reifung der Darmflora bei Frühgeborenen.

Daniel Peter | Universitätsklinikum Würzburg

Die Weichen für lebenslange Gesundheit werden schon bei der Geburt gestellt: Ein harmonisches Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Mikroorganismen im Darm ist dafür mitentscheidend. Ist die Darmflora aber gestört, kann dies eine spätere Asthmaerkrankung, Stoffwechselstörungen, Übergewicht, Diabetes mellitus oder Autoimmunerkrankungen begünstigen.

Besonders anfällig für eine solche Störung der Darmflora – in der Fachsprache Dysbiose genannt – sind Frühgeborene, die vor dem Ende der 37. Schwangerschaftswoche zur Welt kommen. Häufig per Kaiserschnitt geboren, erfolgt die Erstbesiedlung ihres Darms mit Bakterien durch mütterliche Hautkeime statt durch Keime aus dem Geburtskanal. Die Kinder müssen meist intensivmedizinisch versorgt, mit Antibiotika behandelt und können zudem nur eingeschränkt gestillt werden. All dies kann zu einer frühen Störung der mikrobiellen Darmbesiedlung führen und die Reifung des Immunsystems sowie die Ausbildung einer effektiven Immunantwort negativ beeinflussen. Insbesondere sehr unreife Frühgeborene haben ein erhöhtes Risiko, direkt nach der Geburt an Infektionen oder Entzündungen im Darm zu erkranken, die für sie lebensbedrohlich sein können.

Laktobazillen und Bifidobakterien beschleunigen Reifung der Darmflora

Hier wollte das multizentrische Forschungsteam um Professor Dr. Christoph Härtel, Direktor der Kinderklinik des Universitätsklinikums Würzburg, gegensteuern. Die von ihm geleitete klinische PRIMAL-Studie belegt, dass die Gabe bestimmter Probiotika zu einer beschleunigten Reifung des Darm-Mikrobioms beiträgt – und damit auch einen positiven Effekt auf die kognitive und gesundheitliche Entwicklung der Kinder haben könnte. Probiotika kommen in großer Zahl in der Muttermilch vor, sind aber auch ergänzender Bestandteil industriell hergestellter Babynahrung.

Die „Champions“ unter ihnen, die natürlicherweise in der Muttermilch und damit im Mikrobiom reifer, gesunder Neugeborener vorkommen, sind Laktobazillen und Bifidobakterien. „Wir wollten herausfinden, ob die ergänzende Gabe dieser Probiotika Frühgeborene vor einer Dysbiose schützen kann“, erläutert Härtel. Ein Ergebnis der Studie: Zwar konnte sie die Besiedlung des Darms mit multiresistenten Keimen nicht verhindern, doch war das Mikrobiom der so behandelten Frühgeborenen fast so gut ausgereift wie das von Kindern, die termingerecht geboren wurden.

Die hochauflösenden Mikrobiomanalysen zeigten zudem, dass sich eine Spezies der Bifidobakterien auch in Kindern der Kontrollgruppe angesiedelt hatte, die nur ein Placebo erhielten. „Das zeigt, dass Kinder diese Probiotika-Spezies auch aus der Krankenhausumwelt aufnehmen“, so Härtel. „Wir konnten dies vornehmlich bei Mehrlingen beobachten, die ein Probiotika-behandeltes Geschwisterkind hatten, mit dem sie denselben Inkubator teilten oder gemeinsam mit den Eltern kuschelten.“ Dies sei eine wichtige Erkenntnis für das Verständnis von Übertragungswegen im Krankenhaus und für die Interpretation von Studienergebnissen beziehungsweise das Aufsetzen künftiger klinischer Studien.

Professor Dr. Christoph Härtel

Professor Dr. Christoph Härtel

Daniel Peter | Universitätsklinikum Würzburg

PRIMAL-Studie: Nachuntersuchungen in der klinischen Auswertung

Weitere Untersuchungen hat Christoph Härtel bereits im Blick. Denn das ist das Besondere an der PRIMAL-Studie und der dabei aufgebauten Kohorte: Die ersten Kinder, die an der Studie teilgenommen haben, gehen inzwischen zur Schule – und sind damit in einem Alter, in dem vermutete Zusammenhänge zwischen gestörter Darmflora und Erkrankungen wie Asthma, Adipositas, ADHS und Autismus untersucht werden können.

„Die Kinder wurden bereits im Alter von sechs, zwölf und 24 Monaten nachuntersucht. Eine weitere Untersuchung im Alter von fünf bis sieben Jahren hat im November 2023 begonnen. Derzeit werden die Ergebnisse ausgewertet, um mögliche Langzeiteffekte einer frühen Probiotika-Gabe festzustellen“, sagt Härtel. Eine Langzeituntersuchung zehn Jahre nach der ersten Studie ist bereits in Planung.

Forschung generiert Erkenntnisse für individuell angepasste Behandlungen

Aus diesen Untersuchungen ergibt sich laut Härtel ein Gewinn für alle. Profitieren werden zum einen die jungen Frühgeborenen selbst, die besser vor lebensbedrohlichen Infektionserkrankungen nach der Geburt und gesundheitlichen Langzeitfolgen geschützt sind. Zum anderen ihre Angehörigen und das medizinische Fachpersonal, da weniger Komplikationen und belastende Situationen auftreten. Aber auch die Forschung selbst wird gestärkt. Das PRIMAL-Konsortium führt insgesamt sechs Forschungsprojekte in Freiburg, Mainz, Heidelberg, Saarbrücken und Würzburg durch. „Diese Forschung wird unser Wissen über das Zusammenspiel zwischen Darm-Mikrobiom und Immunsystem erweitern – und zu Erkenntnissen führen, die für die Entwicklung individuell angepasster und verbesserter Behandlungsansätze für Frühgeborene genutzt werden können“, ist Härtel überzeugt.

PRIMAL-Studie

Die von Professor Dr. Christoph Härtel geleitete PRIMAL-Studie wurde an 18 Standorten in ganz Deutschland durchgeführt. Dabei wurden 646 Kinder, die zwischen der 28. und 33. Schwangerschaftswoche geboren wurden, in eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie eingeschlossen – das bedeutet, dass weder die Forschenden noch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte sowie die Eltern der behandelten Kinder wussten, wer Probiotika erhielt (Interventionsgruppe) und wer ein Placebo (Kontrollgruppe). Die Behandlung begann innerhalb der ersten 72 Stunden nach der Geburt und dauerte 28 Tage. Am 30. Lebenstag wurde das Mikrobiom der jungen Studienteilnehmenden untersucht.

Die Studie wurde im Rahmen des PRIMAL-Verbundes durchgeführt, eines deutschlandweiten Netzwerks von Ärztinnen und Ärzten der Kinder- und Jugendmedizin sowie Naturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern an sieben Standorten. Das Bundesforschungsministerium unterstützte das seit 2016 bestehende Konsortium mit knapp 3,4 Millionen Euro unter dem Dach der Förderinitiative „Gesund – ein Leben lang“. Die Abkürzung PRIMAL steht für PRiming IMmunity At the beginning of Life, Prägung der Immunität am Anfang des Lebens.

Originalpublikation:
Van Rossum, T., Haiß, A., Knoll, R. L., et al. (2024). Bifidobacterium and Lactobacillus Probiotics and Gut Dysbiosis in Preterm Infants: The PRIMAL Randomized Clinical Trial. JAMA Pediatr. Published online August 05, 2024. DOI: 10.1001/jamapediatrics.2024.2626

Ansprechpartner:
Prof. Dr. med. Christoph Härtel
Direktor der Kinderklinik
Universitätsklinikum Würzburg
Josef-Schneider-Straße 2
97080 Würzburg
haertel_c1@ukw.de