Februar 2025

| Newsletter Spezial

Passgenaue Therapie für Menschen mit Lungenkrebs

Viele Menschen mit Lungenkrebs erhalten heute Therapien, die individuell auf sie zugeschnitten sind. Möglich wurde dies dank enormer technischer Fortschritte – und dank des Spürsinns und der Beharrlichkeit eines Netzwerks aus Köln.

Eine Ärztin sitzt an einem Schreitisch und zeigt einem Mann links neben ihr etwas auf einem Laptop

Zentral testen – dezentral behandeln: Im nationalen Netzwerk Genomische Medizin werden die Untersuchungsergebnisse von einem Team aus Expertinnen und Experten beurteilt. Die anschließende Behandlung erfolgt möglichst heimatnah bei der betreuenden Ärztin oder dem Arzt.

fizkes/stock.adobe

Lungenkrebs ist nicht gleich Lungenkrebs. Es existieren zahlreiche Unterarten – jede von ihnen mit einer ganz eigenen genetischen Ausstattung. Einige dieser kleinen Unterschiede und Abweichungen im Erbgut machen den Tumor angreifbar und damit oft eine gezielte Therapie möglich. Menschen mit Lungenkrebs können so heute wesentlich wirkungsvoller behandelt werden als noch vor einigen Jahren. Die molekulare Analyse des Tumors verrät den Ärztinnen und Ärzten, ob die Krebszellen eine genetische „Schwachstelle“ aufweisen – und welche Wirkstoffe hier ansetzen.

Möglich wurde dieser Therapieansatz durch die enormen technologischen Fortschritte um die Jahrtausendwende: Ab diesem Zeitpunkt konnten Genom-Analysen mithilfe von Hochdurchsatzverfahren routinemäßig und im großen Stil durchgeführt werden und eigens dafür entwickelte IT-Lösungen die enormen Datenmengen innerhalb kürzester Zeit effektiv auswerten. „Als die ersten Gensequenzen von Tumoren entschlüsselt wurden, war uns sofort klar: Das wird auch die Therapie beeinflussen“, beschreibt Dr. Roman Thomas den „historischen Moment“, der den Grundstein für seine Forschungsarbeiten legte. Das Interesse an diesem Forschungsfeld hat Thomas nie verlassen, heute ist er Professor an der Universität zu Köln und leitet die dortige Abteilung für Translationale Genomik.

Karte mit den Standorten des bundesweiten nationalen Netzwerks Genomische Medizin (nNGM)

Standorte des bundesweiten nationalen Netzwerks Genomische Medizin (nNGM): Über das Netzwerk erhalten Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs Zugang zu molekularer Diagnostik und innovativen Therapien – auch im Rahmen von klinischen Studien.

BMBF

Molekulare Analysen ergänzen den Blick durch das Mikroskop

Gewebeproben von Lungentumoren wurden lange nur unter dem Mikroskop analysiert. Anhand dieser Beobachtungen, der Tumorhistologie, wurden sie bestimmten Untergruppen zugeordnet und aus dieser Zuordnung entsprechende Therapieempfehlungen abgeleitet – zumeist eine Operation, Chemotherapie oder Bestrahlung. Gemeinsam mit Professor Dr. Jürgen Wolf und Professor Dr. Reinhard Büttner konnte Thomas nachweisen, dass die Diagnose auf Basis einer molekularen Analyse deutlich präziser getroffen werden kann – und die Therapieempfehlungen dadurch wesentlich wirkungsvoller sind.

Ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg war die unterschiedliche Expertise, die die drei Wissenschaftler mitbrachten: Wolf ist Onkologe, er behandelt Krebspatientinnen und -patienten im Krankenhaus, heute leitet er das Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) in Köln. Büttner ist Pathologe, er stellt Diagnosen beispielsweise anhand von Gewebeproben und ist heute Direktor des Instituts für Pathologie der Universität Köln. Thomas selbst erforscht bereits seit seiner Doktorarbeit die molekularen Grundlagen von Krebserkrankungen – in deutschen und US-amerikanischen Laboren.

Der Weg in die Regelversorgung

„Damals waren wir die Ersten, die in Deutschland zu Lungenkrebs geforscht haben“, beschreibt Thomas die ersten Schritte des gemeinsamen – und letztlich bahnbrechenden – Forschungsprojektes. „Gestartet sind wir mit nur einer Patientin, aber bereits sehr früh konnten wir in die Breite gehen – und Gewebeproben von sehr vielen Patientinnen und Patienten sowohl mikroskopisch als auch molekular untersuchen.“ Es folgte eine durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Studie, in der das Lungenkrebsgewebe von mehr als 5.000 Patientinnen und Patienten analysiert wurde. „Durch unseren Ansatz konnten wir Formen von Lungenkrebs, die seit Jahrzehnten durch die Fachliteratur und durch die Lehrbücher geistern, quasi eliminieren. Wir haben nachgewiesen, dass es sich bei diesen nicht um eine eigene Unterart handelt, sondern um eine Variante von einem anderen, sehr viel häufigeren Lungenkrebs – für den es wirkungsvolle Behandlungsoptionen gibt.“

Im Jahr 2010 gründeten die drei Wissenschaftler daraufhin das Kölner „Netzwerk Genomische Medizin (NGM) Lungenkrebs“, den Vorgänger des heutigen nNGM. Ihr Ziel: die molekulare Diagnostik in die Routineversorgung zu bringen, um möglichst vielen Menschen helfen zu können. „Wir haben unzählige Fallbeispiele studiert, Datenbanken durchforstet und medizinische Berichte ausgewertet. Und uns mit Ärztinnen und Ärzten weltweit ausgetauscht, um unsere Expertise weiter auszubauen. Teilweise konnten wir aufgrund unserer Erfahrungen andere Therapien empfehlen – oder Diagnosen korrigieren. Durch die substanzielle Förderung des BMBF und durch die Stiftung Deutsche Krebshilfe konnten Jürgen Wolf und Reinhard Büttner unsere Erkenntnisse mit dem nNGM schließlich in die Routineversorgung in Deutschland überführen – und damit unsere Vision wahr werden lassen“, so Thomas. Heute kooperieren rund 70 Krankenkassen mit dem nNGM; das ermöglicht rund 95 Prozent der Patientinnen und Patienten in Deutschland den Zugang zu passgenauen Therapien.

Das nationale Netzwerk Genomische Medizin (nNGM) Lungenkrebs

Heute erhalten über das nationale Netzwerk Genomische Medizin (nNGM) Lungenkrebs bundesweit Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs Zugang zu molekularer Diagnostik und neuesten Therapien – auch im Rahmen von klinischen Studien. Gegründet wurde das interdisziplinäre Netzwerk, das seit 2018 von der Deutschen Krebshilfe (DKH) gefördert wird, von den drei Kölner Medizinern Professor Dr. Jürgen Wolf, Professor Dr. Roman Thomas und Professor Dr. Reinhard Büttner. Sie haben maßgeblich dazu beigetragen, dass das gemeinsam entwickelte Konzept der personalisierten Lungenkrebstherapie in die Routineversorgung überführt wurde. Mittlerweile kommt es in 29 nNGM-Zentren (darunter alle von der DKH geförderten Spitzenzentren) in Deutschland zum Einsatz – inklusive umliegender Krankenhäuser und niedergelassener Onkologen.

 Auf der Suche nach weiteren therapierbaren Veränderungen

Doch nicht für jede Form des Lungenkrebses gibt es auch bereits einen geeigneten Wirkstoff. Daher kommt der Grundlagenforschung immer noch eine große Bedeutung zu. In zahlreichen Einzelprojekten sucht Thomas gemeinsam mit seinem Forschungsteam von der Abteilung für Translationale Genomik auch weiterhin nach bislang unbekannten genetischen Veränderungen, um ihre Funktion zu verstehen und mögliche Behandlungsoptionen zu identifizieren.

Ein Beispiel hierfür ist die von seiner Arbeitsgruppe entdeckte Fusion des Neuregulin-1-Gens (NRG1). Gefunden wurde diese bei Menschen, die keine anderen bislang bekannten Veränderungen aufwiesen – und trotzdem an einer bestimmten Lungenkrebsform erkrankt sind. Zum Erfolg führte eine neue Technologie für Genanalytik und ein eigens dafür entwickeltes computergestütztes Auswertungsverfahren. Ein Pharmaunternehmen aus den USA hat schon einen passenden Wirkstoff im Portfolio, der in klinischen Studien bereits vielversprechende Ergebnisse gezeigt hat. Thomas hofft auf eine baldige Zulassung. „Nichts würde mich mehr freuen, als zu sehen, wie unsere Forschung letztlich den Patientinnen und Patienten zugutekommt“, kommentiert Thomas.