Die Arzneimittelforschung steht vor einem Wandel: Künstliche Intelligenz könnte helfen, neue Wirkstoffe schneller und gezielter zu entwickeln. Forschende in München haben mit KI-Methoden bereits erste Angriffspunkte für neue Therapien identifiziert.
Neue Medikamente werden dringend gebraucht. Doch ihre Entwicklung ist langwierig. Große Hoffnung setzen Forschende daher auf den Einsatz von Künstlicher Intelligenz.
Suriyo/stock.adobe.com (generiert mit KI)
Die Entwicklung neuer Medikamente ist langwierig und teuer. Bis ein neues Präparat zur Marktzulassung gelangt, können viele Jahre vergehen. Eine große Hürde ist dabei die hohe Unsicherheit: Selbst wenn es Forschenden gelingt, ein vielversprechendes Zielmolekül für die Therapie einer bestimmten Erkrankung zu identifizieren, erweist sich dieses später häufig als unwirksam. Nur ein Bruchteil der erforschten Wirkstoffe schafft es am Ende bis in die klinische Anwendung. Um die Arzneimittelentwicklung schneller und effizienter zu machen, setzen daher immer mehr Forschende auf Künstliche Intelligenz (KI). So auch im Projekt SUPREME, das auf die Entwicklung neuer Krebstherapeutika zielt. „Mithilfe von KI-Methoden wollen wir neue Zielmoleküle für die Krebsbehandlung ermitteln“, sagt Projektleiter Dr. Grzegorz Popowicz vom Helmholtz Zentrum München. „So könnten wir die Erfolgswahrscheinlichkeit neuer Medikamente künftig drastisch erhöhen.“
Die Idee, Medikamente auf Basis struktureller Informationen von Biomolekülen zu entwickeln, ist nicht neu. Schon seit Jahrzehnten erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die dreidimensionale Struktur von Proteinen und Nukleinsäuren – den Bausteinen des Lebens. Dennoch haben Fortschritte in diesem Feld bislang nicht den erhofften Durchbruch gebracht. Denn auch mit detaillierten Strukturinformationen bleibt die Suche nach neuen Wirkstoffen oft auf Zufallsfunde angewiesen. „Unser Gehirn ist nicht dafür geschaffen, intermolekulare Wechselwirkungen vorherzusagen“, erklärt Popowicz. „Wir sind gut darin, Mammuts zu jagen, aber nicht darin, komplexe chemische Prozesse zu verstehen.“ Genau hier setzt die KI an: Sie kann riesige Datenmengen analysieren, darin Muster erkennen und auf dieser Basis präzise Vorhersagen treffen. „Anstatt wie bisher unzählige Moleküle im Labor zu testen, kann eine gut trainierte KI gezielt vorschlagen, welche Angriffspunkte vielversprechend sind. Das spart nicht nur Zeit und Geld, sondern erhöht auch die Trefferquote bei der Suche nach neuen Medikamenten“, so Popowicz.
Wirkstoffentwicklung mit ungeahnter Präzision
Das Forschungsteam von SUPREME hat hierfür eine eigene KI-Methode namens „Target Preference Mapping“ entwickelt und inzwischen patentieren lassen. Normalerweise wird zunächst ein potenzieller Wirkstoff identifiziert und dann getestet, ob er sich an ein bestimmtes Protein bindet. Die neue Methode des SUPREME-Teams aber funktioniert genau umgekehrt: „Wir fragen das Zielprotein gewissermaßen selbst, welcher Wirkstoff am besten zu ihm passen würde“, erklärt Popowicz. „Die KI übersetzt diese Antwort anschließend in eine für uns verständliche Sprache – also die konkrete chemische Struktur eines Wirkstoffkandidaten.“ Dabei werden nicht nur einfache Molekülmodelle betrachtet, sondern auch das Verhalten der Elektronen, der einzelnen Komponenten innerhalb eines Moleküls. „Das ist komplexe Mathematik. Doch wir haben gezeigt, dass die KI die Architektur eines Biomoleküls auf atomarer Ebene erfassen kann“, so Popowicz. „Das macht es möglich, mit bisher ungeahnter Präzision Wirkstoffe zu entwerfen, die exakt auf ihr Ziel abgestimmt sind.“
Die Forschenden sind bereits gut vorangekommen. Ein wichtiger Schritt war die Kommerzialisierung der patentierten Software. Die Lizenz für die Technologie wurde an das Start-up „Khumbu.AI“ in München übertragen, das sich, ausgestattet mit einer Risikokapitalfinanzierung, auf die Suche nach neuen Wirkstoffen begibt. „Das Unternehmen hat mehrere Arzneimittel-Kandidaten, unter anderem zur Krebstherapie, in der Pipeline“, sagt Popowicz. Zudem wurde das SUPREME-Modell bereits erfolgreich für die Suche nach Medikamenten gegen Diabetes und die Chagas-Krankheit verwendet – eine vernachlässigte Tropenkrankheit, für die es bislang nur unzureichende Behandlungsmöglichkeiten gibt.
Förderung innovativer Softwaretools
In der Patientenversorgung und der klinischen Forschung wächst die Menge an elektronisch verfügbaren Daten rasant. Intelligente Algorithmen können in diesen riesigen Datenschätzen versteckte Muster aufspüren. Sie helfen dabei, Zusammenhänge zu erkennen sowie verbesserte Ansätze für die Prävention, Diagnose und Therapie von Krankheiten zu finden. Mit der Förderinitiative „Computational Life Sciences – CompLS“ treibt das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) die Entwicklung innovativer Softwaretools für die Lebenswissenschaften voran. Einer der Schwerpunkte ist die Nutzung von Methoden der Künstlichen Intelligenz in der Biomedizin. Seit 2018 haben das BMFTR und das Vorgängerhaus BMBF rund 55 Millionen Euro für 77 Forschungsprojekte bereitgestellt. Auch das Projekt SUPREME wird vom BMFTR im Rahmen von CompLS unterstützt.
Schnellere klinische Studien durch KI?
Trotz dieser Fortschritte bleiben noch viele Herausforderungen. Eine der größten Hürden ist die regulatorische Zulassung: Neue Medikamente müssen nicht nur wirken, sondern auch sicher sein. Während KI den eigentlichen Forschungsprozess vorantreiben kann, bleiben die anschließenden klinischen Studien ein zeitaufwendiger und teurer Prozess. Doch langfristig könnte KI auch hier zum Einsatz kommen, so hofft Popowicz: „Vielleicht können KI-Modelle irgendwann sogar den klinischen Teil beschleunigen und auch den Bedarf an Tierversuchen deutlich reduzieren.“
Die Entwicklung schreitet rasant voran. Die Algorithmen werden immer treffsicherer. Große Forschungsunternehmen und Tech-Giganten wie Google arbeiten bereits an KI-gestützten Medikamentendesigns. Die Hoffnung ist, dass künftige Modelle nicht nur bestehende Therapieansätze verbessern, sondern tatsächlich neue, bahnbrechende Wirkstoffe von Grund auf entwerfen können. „Noch sind wir nicht so weit“, meint Popowicz. „Aber unser Projekt zeigt eindrucksvoll, welches Potenzial KI in der Medikamentenforschung entfalten kann.“
Ansprechpartner:
Dr. Grzegorz Popowicz
Institut für Strukturbiologie
Helmholtz Zentrum München
Ingolstädter Landstraße 1
85764 Neuherberg
grzegorz.popowicz@helmholtz-muenchen.de