September 2025

| Newsletter 119

KI soll Wirksamkeit von Medikamenten vorhersagen

Das Warten darauf, ob eine Krebstherapie anschlägt oder nicht, ist oft zermürbend. Forschende arbeiten daran, die Wahrscheinlichkeit dafür mit Künstlicher Intelligenz (KI) voraussagen zu können. Ihr Ziel: Medikamente mit sicherer Wirkung verschreiben zu können.

Im Vordergrund stehen zwei Bildschirme, im Hintergrund rechts sitzen drei junge Männer um Laptops

Bioinformatiker trainieren die KI mit großen Datensätzen.

Eckert/ TUM

Die Idee im Forschungsprojekt „DROP2AI“ (Drug Response Prediction using Proteomics and Artificial Intelligence) ist es, Künstliche Intelligenz (KI) so zu trainieren, dass sie vorhersagen kann, welches Medikament bei einem bestimmten Patienten mit einer bestimmten Krebsart am besten wirkt. Dazu nehmen die Projektbeteiligten Proteine in den Blick. Fast alle Medikamente, die Ärztinnen und Ärzte heute gegen Krebserkrankungen beispielsweise im Rahmen einer zielgerichteten Therapie verschreiben, wirken durch Proteine. „Die Bedeutung von Proteinen in der Krebsforschung hat die Wissenschaft lange unterschätzt“, erklärt Professor Dr. Mathias Wilhelm, Bioinformatiker und Projektleiter von DROP2AI an der Technischen Universität München (TUM). Proteine bestimmen aber fast alle Prozesse im menschlichen Körper, sie sind dafür verantwortlich, dass wir „funktionieren“.

Das menschliche Proteom (die Summe aller Proteine im Körper) besteht aus geschätzt etwa einer Million verschiedener Proteine und ist längst noch nicht so weit entschlüsselt und erforscht wie das menschliche Genom (die Summe aller Gene). So weiß die Medizin zwar inzwischen, dass Proteine auch für die unkontrollierte Zellteilung verantwortlich sind, versteht aber oft noch nicht genau, welche Auslösemechanismen dahinterstehen. Gleichzeitig zeigt sich, dass bestimmte Medikamente bei verschiedenen Krebsarten und auch von Mensch zu Mensch unterschiedlich wirken können. Auch hierfür hat die Wissenschaft oft noch keine Erklärung. „Die Förderung durch das Bundesforschungsministerium erlaubt es uns, die Komplexität dieses Problems tiefer zu beleuchten“, sagt Wilhelm. „Wir wissen eigentlich wenig über Tumore und leider noch weniger darüber, warum genau Medikamente funktionieren und wann nicht. Das zu lernen, ist auch für die KI nicht ganz einfach.“

Förderung innovativer Softwaretools

In der Patientenversorgung und der klinischen Forschung wächst die Menge an elektronisch verfügbaren Daten rasant. Intelligente Algorithmen können in diesen riesigen Datensätzen versteckte Muster aufspüren. Sie helfen dabei, Zusammenhänge zu erkennen sowie verbesserte Ansätze für die Prävention, Diagnose und Therapie von Krankheiten zu finden. Mit der Förderinitiative „Computational Life Sciences – CompLS“ treibt das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) die Entwicklung innovativer Softwaretools für die Lebenswissenschaften voran. Einer der Schwerpunkte ist die Nutzung von Methoden der Künstlichen Intelligenz in der Biomedizin. Seit 2018 hat das BMFTR rund 52 Millionen Euro für mehr als 70 Forschungsprojekte in diesem Bereich bereitgestellt.

Bisherige Standardbehandlung schlägt nicht immer an

Momentan ist für eine Krebsart häufig eine Standardbehandlung vorgesehen. Dabei gibt es Krebsarten, bei denen nur etwa zehn Prozent der Betroffenen auf diese Behandlung ansprechen. Daher ist sich die Forschung heute weitgehend einig darüber, dass langfristig personalisierte Behandlungsstrategien nötig sind. Tatsächlich spielt die Individualität eines jeden Menschen bei vielen Krebserkrankungen eine entscheidende Rolle. Es gibt Medikamente, die bei der gleichen Krebsart bei zwei unterschiedlichen Menschen auch unterschiedlich wirken – und bei einer dritten Person gar nicht anschlagen. Hier kommt die KI ins Spiel und soll genau diese Wahrscheinlichkeit voraussagen. Das ist komplex, weil die Kombinationsmöglichkeiten aus unterschiedlichen Bedingungen bei jedem einzelnen Menschen, unterschiedlichen Krebsarten und verschiedenen Medikamenten in unterschiedlicher Dosierung enorm sind.

Portrait Professor Dr. Mathias Wilhelm

Professor Dr. Mathias Wilhelm

Uli Benz, TUM, Presse & Kommunikation Foto

Das Training der KI erfordert große Datenmengen: Daten über die Proteine der Krebszellen sowie Daten über Medikamente und deren Dosierung. Außerdem erhält die KI die Information darüber, wie lebensfähig die Krebszellen trotz der jeweiligen Medikation noch sind. So kann die KI lernen, Muster zu erkennen. Für das Training arbeiten Forschende aus den Disziplinen Bioinformatik, Biochemie und Medizin zusammen. Die KI erhält Informationen über das Proteom dieser Krebszellen und trifft eine Aussage zur Wahrscheinlichkeit der Wirksamkeit eines bestimmten Medikaments. Das können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dann mit Daten aus ihrer Therapie abgleichen. Diese Interdisziplinarität ermöglicht es, von Anfang an unterschiedliche Blickwinkel zu berücksichtigen. Sie stellt sicher, dass Daten nicht nur gesammelt, sondern diese auch verstanden werden. Nur so können die Expertinnen und Experten wirklich einschätzen, wie gut die Prognosen der KI am Ende sind.

„Wir werden vermutlich nicht Erster, aber vielleicht Bester“

Gefragt, wann die Methode, an der DROP2AI arbeitet, im Einsatz sein wird und Patientinnen und Patienten davon profitieren, sagt Wilhelm: „Ich würde mich freuen, wenn das innerhalb der nächsten fünf Jahre passiert, weil das die Lebensqualität der Betroffenen drastisch verbessern würde. Aber vermutlich wird es länger dauern.“ Wilhelm rechnet für Deutschland eher mit zehn bis zwanzig Jahren; in den USA und in China rechnet er schneller mit Ergebnissen, weil es dort weniger Regularien und Restriktionen im Umgang mit großen personalisierten Datenmengen wie Gesundheitsdaten gebe. Als Wissenschaftler nimmt er das als Ansporn: „First in Class ist nicht unbedingt auch Best in Class.“ Und die Chance, Klassenbester zu werden, sieht Wilhelm durchaus.

Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Mathias Wilhelm
Professur für Computational Mass Spectrometry
Maximus-von-Imhof-Forum 1.3/I
85354 Freising
mathias.wilhelm@tum.de