10.02.2025

| Aktuelle Meldung

„Globale Gesundheit ist auch eine Frage globaler Gerechtigkeit“

Mehr als 1.200 Forscherinnen und Forscher verschiedener Disziplinen haben sich in der Deutschen Allianz für Globale Gesundheitsforschung zusammengefunden. Mehr zur Arbeit des unter der Abkürzung GLOHRA bekannten Netzwerks erfahren Sie im Interview.

Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe sitzen an einem Tagungstisch und tauschen sich aus.

Unterschiedliche Blickwinkel und Expertise aus verschiedenen Disziplinen: Bei den Treffen des GLOHRA-Netzwerks geht es um einen Austausch auf Augenhöhe

GLOHRA

Während der SARS-CoV-2-Pandemie wurde es besonders deutlich: Die Weltgemeinschaft steht vor gesundheitlichen Herausforderungen, die sich nur mit multinationaler und interdisziplinärer wissenschaftlicher Zusammenarbeit bewältigen lassen. Diese Strategie verfolgt die Deutsche Allianz für Globale Gesundheitsforschung (German Alliance for Global Health Research, GLOHRA): Sie bietet Forschenden eine Vernetzungsplattform, bei der sie ihren Blick über die Grenzen ihrer Institution oder ihres Fachgebietes hinausrichten, um gemeinsam Lösungen für drängende Gesundheitsfragen zu finden.

Das GLOHRA-Netzwerk wird seit 2020 durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert; im Februar 2025 startete die zweite, auf fünf Jahre angelegte Förderphase. Mehr zur Arbeit, Vorhaben und Zielen der GLOHRA erfahren Sie im Interview mit Professorin Dr. Manuela De Allegri (Heidelberg), Professor Dr. Dr. Kerem Böge (Berlin) und PD Dr. Meral Esen (Tübingen), die zum Steering Commitee von GLOHRA gehören.

Portrait von Professor Dr. Manuela De Allegri

Professor Dr. Manuela De Allegri, Universitätsklinikum Heidelberg     

GLOHRA

Welche Rolle spielt Deutschland in der globalen Gesundheit?

Manuela De Allegri: Deutschland ist einer der wichtigsten Akteure in der globalen Gesundheitsagenda, ein unverzichtbarer Partner, wenn es darum geht, die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDGs) zu erreichen. Deutschland engagiert sich in der Infektionsforschung, der Pandemievorsorge, der Gesundheitssicherheit und in dem mir besonders am Herzen liegenden Bereich der Gesundheitssysteme und der sozialen Gesundheitssicherung. In den vergangenen Jahren wurde beträchtlich investiert, nicht zuletzt in die GLOHRA, um Forschenden in Deutschland mehr Sichtbarkeit in der weltweiten Forschungslandschaft zu ermöglichen. Dies ist der richtige Weg, wenn Deutschland auch in der globalen Gesundheitsforschung eine Führungsrolle einnehmen und behalten möchte.

Kerem Böge: Deutschland leistet mit vielfältigen Initiativen bedeutende Beiträge zur globalen Gesundheit. Besonders deutlich wurde dies während der SARS-CoV-2-Pandemie durch das Engagement in der Impfstoffentwicklung und -verteilung. Das Land unterstützt aktiv internationale Partnerschaften, arbeitet eng mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zusammen und fördert den wissenschaftlichen Austausch. Deutschland bringt sich sowohl wissenschaftlich als auch politisch in die Bewältigung komplexer globaler Herausforderungen ein, darunter Pandemien, antimikrobielle Resistenzen, Klimawandel sowie gesundheitliche Folgen von Kriegen und Migration. Diese Themen erfordern einen interdisziplinären Ansatz und verdienen einen hohen Stellenwert in der deutschen Politik.

Warum ist es so wichtig, dass Deutschland sich in diesem Feld engagiert?

Manuela De Allegri: Das, was die Gesundheit und das Leben einer einzelnen Nation beeinflusst, betrifft letztlich uns alle, denn wir alle sind Teil einer Welt. Diese Erkenntnis bringt die moralische Verpflichtung mit sich, etwas zur Verbesserung der Lebensbedingungen derer zu tun, die weniger Glück haben als wir. Daran zu arbeiten, die Welt in einem besseren Zustand zu hinterlassen, als wir sie vorgefunden haben, sind wir künftigen Generationen schuldig. Die Verbesserung der Gesundheit der Weltbevölkerung ist unsere Art, diese kollektive Verantwortung wahrzunehmen.

Portrait von Professor Dr. Dr. Kerem Böge

Professor Dr. Dr. Kerem Böge, Charité Universitätsmedizin Berlin      

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Kerem Böge: Das deutsche Engagement ist von entscheidender Bedeutung, denn bei globaler Gesundheit handelt es sich auch um eine Frage der globalen Gerechtigkeit. Gesundheitliche Herausforderungen wie die Ausbreitung resistenter Keime oder die Auswirkungen des Klimawandels machen nicht an Landesgrenzen halt. Das erfordert eine international vernetzte Forschungslandschaft, die gemeinsam an Lösungen arbeitet. Als eine der führenden Wirtschaftsnationen hat Deutschland die Verantwortung und die Ressourcen, sich als verlässlicher Partner in der globalen Gesundheitsforschung zu engagieren und zur Implementierung nachhaltiger Lösungen beizutragen.

Was unterscheidet die GLOHRA-Plattform von anderen Netzwerken?

Manuela De Allegri: Das Hauptaugenmerk von GLOHRA liegt auf länderübergreifender, interdisziplinärer Zusammenarbeit und der Umsetzung von Wissenschaft in Politik und Praxis. Vielerorts fehlt es aber noch immer an einem angemessenen Verständnis davon, was interdisziplinäre Forschung ist und wie sie erfolgreich umgesetzt werden kann und die besten Ergebnisse hervorbringt. Deshalb brauchen wir eine Plattform wie GLOHRA, die dafür eintritt, entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen für Forschende anbietet und eine gewisse Anschubfinanzierung bereitstellt.

Portrait von PD Dr. Meral Esen

PD Dr. Meral Esen, Universitätsklinikum Tübingen

GLOHRA

Meral Esen: Ein besonderes Merkmal der Plattform ist ihre Organisationsstruktur. Mit einem 19-köpfigen interdisziplinären Steering Committee und einem Sprechertrio ist die Leitung breit aufgestellt und partizipativ gestaltet. Zudem möchte ich das Sekretariat hervorheben: Durch die vielfältige Expertise des Teams sowie den gezielten Einsatz neuer Medien bringt es zusätzliche Impulse in die Arbeit der Plattform ein und trägt maßgeblich zu ihrer Innovationskraft bei.

Kerem Böge: GLOHRA zeichnet sich durch seinen innovativen Ansatz aus, der verschiedene Disziplinen gleichberechtigt einbindet und insbesondere mit Partnern aus dem globalen Süden einen partnerschaftlichen Wissenschaftsaustausch auf Augenhöhe ermöglicht. Selbst aus einer deutschlandzentrierten Perspektive wird die Bedeutung eines solchen Netzwerks deutlich: Um beispielsweise Fluchtursachen zu bekämpfen und demokratische Entwicklung zu fördern, wie im Fall Syriens, ist ein stabiles Gesundheitssystem in den Herkunftsländern unerlässlich. Nur wenn Gesundheit und Stabilität gewährleistet sind, können Menschen in ihre Heimatländer zurückkehren und am Wiederaufbau mitwirken.

Welche Beiträge und Initiativen sind aus Ihrer Sicht besonders hervorzuheben?

Manuela De Allegri: Im vergangenen Jahr war ich selbst an drei Trainings und Workshops für Forschende beteiligt und allein die Menge der Teilnehmeranfragen machte mir noch einmal bewusst, wie enorm sowohl das Interesse als auch der Bedarf an fachlicher Weiterentwicklung im Bereich der interdisziplinären Forschung für globale Gesundheit ist. GLOHRA leistet mit diesen Angeboten hervorragende Arbeit und fördert einen wirklich fruchtbaren Dialog zwischen sehr unterschiedlichen Personen aus den verschiedensten Bereichen. Bei manchen weckt dies Erwartungen, die die Organisation mit ihren begrenzten Ressourcen möglicherweise gar nicht alle erfüllen kann. Deshalb sehen wir in der erneuten Förderung ein wichtiges Signal und freuen uns sehr, unsere Arbeit fortsetzen zu können.

Meral Esen: Was die GLOHRA ausmacht, ist die Internationalität ihrer Projekte und Workshops. Sie bieten insbesondere Nachwuchsforschenden wertvolle Lern- und Vernetzungsmöglichkeiten und ermöglichen es ihnen, neue Ansätze auszuprobieren. GLOHRA bietet Mitgliedern zudem die Möglichkeit, eigene Workshops zu konzipieren und dafür Fördermittel einzuwerben – das stärkt die Eigeninitiative und bringt innovative Formate hervor.

Was wollen Sie in der GLOHRA in den nächsten fünf Jahren erreichen?

Manuela De Allegri: Es wird entscheidend sein, die Errungenschaften der ersten fünf Jahre zu festigen, das gewonnene Vertrauen unter unseren Mitgliedern weiter zu stärken, die in den Pilotprojekten erzielten Erkenntnisse umzusetzen oder weiterzuentwickeln und unsere nationale sowie internationale Sichtbarkeit auszubauen. Nichts davon darf verloren gehen. Wir müssen außerdem darauf hinarbeiten, dass Deutschland seine interdisziplinäre Global Health Forschung langfristig weiter stärkt – Plattformen wie GLOHRA leisten dazu wichtige Beiträge. Was mir besonders am Herzen liegt: Ich möchte die Internationalisierung von GLOHRA unterstützen. Die Plattform und ihr Forschungsnetzwerk müssen auf der globalen Bühne noch bekannter werden. GLOHRAs Weg in eine langfristig gesicherte Zukunft zu unterstützen lohnt sich – hierfür investiere ich gern Zeit und Energie.

GLOHRA: Vielfalt und Vernetzung machen den Unterschied