November 2025

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Ein Wirkstoff, der schwache Herzen behütet

Zehn Jahre Forschung, über 1.200 Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer: Forschende aus Hannover konnten nun in einer großen klinischen Studie nachweisen, dass ein Wirkstoff aus dem Roten Fingerhut Menschen mit fortgeschrittener Herzschwäche hilft

Roter Fingerhut (Digitalis purpurea)

Wirkstoffe aus den Blättern des Roten Fingerhutes (Digitalis purpurea) helfen Patientinnen und Patienten mit Herzschwäche, bei denen die Standard-Therapien ausgereizt sind.

helmutvogler/ Adobe Stock

Manche Forschungsgeschichten lesen sich spannend wie ein Krimi: Da gibt es ein Hausmittel einer Kräuterkundigen gegen „Wassersucht“, über das bereits im Jahr 1785 ein britischer Arzt eine Veröffentlichung schreibt. Spätere Untersuchungen zeigen: Extrakte aus der heimischen Waldpflanze Roter Fingerhut (Digitalis purpurea) wirken nicht nur harntreibend, sondern sie helfen auch bei Herzschwäche. Jahrzehntelang werden Digitalispräparate wegen ihrer stärkenden Wirkung auf die Schlagkraft des Herzens in der Herzmedizin eingesetzt – auf Basis von klinischen Beobachtungen und kleinen Fallstudien, jedoch ohne wissenschaftlichen Nachweis ihrer Wirksamkeit. Doch dann zeigt eine erste große Studie zu diesen sogenannten Herzglykosiden Nebenwirkungen auf.  Die Digitalispräparate geraten in Verruf, werden immer seltener verordnet. War es das? Digitalis – einfach nur ein alter Hut für die Herzmedizin?

Herzschwäche – weit verbreitet und schwer zu behandeln

Ein Team der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) trat nun mit dem Forschungsprojekt DIGIT-HF den Gegenbeweis an: Mit der vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) geförderten klinischen Studie gelang es den Forschenden, die Wirksamkeit eines dieser Herzglykoside – des Digitoxins – nachzuweisen. Auch die Nebenwirkungen können in Zukunft deutlich reduziert werden, wenn der Wirkstoff in geringerer Dosierung gegeben wird. Doch warum hält die Herzmedizin überhaupt an einem so alten Wirkstoff fest, wenn es doch längst modernere Therapien gibt? „Wir haben weiterhin großen Bedarf an verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten bei Herzschwäche“, sagt Studienleiter Professor Dr. Udo Bavendiek, Oberarzt an der Klinik für Kardiologie und Angiologie. „Hintergrund ist die immer noch eingeschränkte Prognose und Lebensqualität bei Herzschwäche.  Auch vertragen manche Patientinnen und Patienten die heutige Standardtherapie nicht oder nur eingeschränkt – beispielsweise, wenn sie zusätzlich eine eingeschränkte Nierenfunktion haben.“

Prof. Dr. Udo Bavendiek (links) und Prof. Dr. Johann Bauersachs

Die Studienleiter der DIGIT-HF-Studie an der Medizinischen Hochschule Hannover, Professor Dr. Udo Bavendiek (links) und Professor Dr. Johann Bauersachs.
 

MHH, Klinik für Kardiologie und Angiologie

Nach zehn Jahren und der Auswertung der Daten von über 1.200 Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern konnten Bavendiek und Studienleiter Professor Dr. Johann Bauersachs, Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), nun eine klare Empfehlung abgeben: Digitoxin verringert bei Patientinnen und Patienten mit einer Herzschwäche aufgrund einer verminderten Pumpfunktion und einer unzureichenden Entleerung der linken Herzkammer – in der Fachsprache HFrEF (Heart Failure with reduced Ejection Fraction) genannt – die Sterblichkeit und die Anzahl der Krankenhausaufenthalte. Die Ergebnisse sind im „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht worden, einer der weltweit führenden medizinischen Fachzeitschriften.

Was ist Herzinsuffizienz?

Ist das Herz zu schwach, um den Körper mit ausreichend Blut und damit lebenswichtigen Nährstoffen sowie Sauerstoff zu versorgen, besteht eine Herzinsuffizienz. Als Folgen treten häufig Kurzatmigkeit, Erschöpfung bei körperlicher Belastung, Druckbeschwerden in der Brust oder Schwellungen in den Beinen auf. In Deutschland leben rund vier Millionen Menschen mit dieser Herzschwäche, die in unterschiedlichen Formen auftreten kann. Trotz beachtlicher Fortschritte in Prävention und Therapie ist die Herzschwäche immer noch einer der Hauptgründe für Krankenhausaufenthalte und eine der häufigsten Todesursachen.

Im Rahmen der Studie wurden Patientinnen und Patienten mit der weit verbreiteten Linksherzinsuffizienz mit verminderter Auswurfleistung (Heart Failure with reduced Ejection Fraction, HFrEF) untersucht: Bei dieser Form der Herzinsuffizienz ist die Pumpleistung der linken Herzkammer eingeschränkt. Daher erreicht weniger sauerstoffreiches Blut Muskeln und Organe und es kommt zum Blutrückstau in die Lungen.

Lesen Sie mehr in unserem Dossier Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Herzenssache: Digitoxin als weitere Säule der Behandlung

 „In der DIGIT-HF-Studie haben wir Patientinnen und Patienten untersucht, bei denen die üblichen Therapien ausgereizt sind“, sagt Studienleiter Bauersachs. „Dass wir bei diesen sehr gut vorbehandelten Studienteilnehmenden mit der Digitoxin-Zusatzbehandlung eine deutliche Verbesserung erzielen konnten, hat uns selbst überrascht.“ Zu den üblichen Medikamenten bei Herzinsuffizienz gehören beispielsweise Beta-Blocker, ACE-Hemmer sowie entwässernde Mittel (Diuretika). Gegen akute Rhythmusstörungen helfen zudem Defibrillatoren, die als Implantat in den Körper der Patientinnen und Patienten eingesetzt werden. Dank der DIGIT-HF-Studie könnte Digitoxin nun eine weitere feste Säule bei der Behandlung von Menschen mit HFrEF-Diagnose werden. Patientinnen und Patienten mit anderen Formen von Herzinsuffizienz wurden im Rahmen der Studie nicht untersucht.

Für das Digitoxin eröffnete die Studie sozusagen eine zweite Chance, nachdem es wegen Nebenwirkungen in Verruf geriet. „Heute wissen wir, dass die Dosierung damals viel zu hoch war“, erklärt Studienleiter Bavendiek. Während früher oft bis zu 0,3 Milligramm Digitoxin pro Tag verordnet wurden, liegen die aktuellen Empfehlungen bei 0,07 Milligramm pro Tag oder sogar noch weniger. „Richtig dosiert ist Digitoxin eine sichere Therapie bei Herzinsuffizienz und eignet sich auch zur Frequenzkontrolle bei Vorhofflimmern, insbesondere wenn Beta-Blocker allein nicht ausreichen oder nicht verabreicht werden können“, so Bavendiek. Ein weiterer Vorteil ist angesichts steigender Kosten im Gesundheitssystem durchaus erwähnenswert: Digitoxin ist deutlich günstiger als andere Medikamente gegen Herzinsuffizienz.

 Über die DIGIT-HF-Studie

Bei der DIGIT-HF-Studie handelt es sich um einen sogenannten „Investigator Initiated Trial“ (IIT) – also eine klinische Studie, die aus der Forschung heraus initiiert wurde und kein kommerzielles Interesse verfolgt. Das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) stellte in der zweiten Förderperiode rund 3,8 Millionen Euro für die Studie bereit; die erste Förderperiode wurde mit rund drei Millionen Euro unterstützt. Die Deutsche Herzstiftung sowie die Braukmann-Wittenberg Herz-Stiftung unterstützten Teilprojekte innerhalb der Studie.

Weitere Informationen unter www.digit-hf.de

Originalpublikation:
Bavendiek, U., et al. (2025): Digitoxin in Patients with Heart Failure and Reduced Ejection Fraction. The New England Journal of Medicine (N Engl J Med), August 29, 2025, DOI:10.1056/NEJMoa2415471

Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. med. Udo Bavendiek
Prof. Dr. med. Johann Bauersachs
Klinik für Kardiologie und Angiologie
Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Straße 1
30625 Hannover
bavendiek.udo@mh-hannover.de
bauersachs.johann@mh-hannover.de