Februar 2025

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Ein Gel mit unbeschränkter Haftung

Nierensteine treten häufig zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr auf. Werden sie entfernt, so verbleiben oft Reste in der Niere, die erneut zu größeren Steinen anwachsen können. Mit einem medizinischen Gel können diese Überbleibsel nun aus der Niere entfernt werden.

Blaues Gel mit Nierensteinresten, die über ein Endoskop aus dem Körper entfernt wurden.

Dieses Gel hat es in sich – jede Menge Nierensteinreste, die über ein Endoskop einfach aus dem Körper entfernt wurden.

Purenum GmbH

Manchmal beginnt eine Erfolgsgeschichte mit einem Anruf: Ein Arzt aus Freiburg suchte nach einem Weg, kleinere Steine – den sogenannten Steingries – wirkungsvoll aus der Niere zu entfernen. „Auf einen solchen Anruf kann man natürlich nicht direkt mit einem Lösungsvorschlag antworten. Im Gegenteil – im Laufe des Gesprächs wurde das Pflichtenheft immer länger: Wir mussten etwas finden, das gut verträglich und biologisch abbaubar ist – und weder die OP-Materialien noch die menschliche Schleimhaut verklebt“, beschreibt der Wissenschaftler Dr. Ingo Grunwald den initialen Moment seines Forschungsprojektes. Der heutige Professor arbeitete damals am Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und angewandte Materialforschung (IFAM). Sein Spezialgebiet sind biologische Klebeverfahren.

Was nun folgte, war eine Art Marktrecherche: Gibt es hier wirklich medizinischen Bedarf? „Wir haben zunächst einmal geprüft, wie viele Menschen jährlich aufgrund von Nierensteinen behandelt werden müssen – die Zahlen sprechen für sich: Allein in Deutschland werden pro Jahr etwa 400.000 endoskopische Eingriffe durchgeführt, um Nierensteine zu entfernen. Dabei verbleiben häufig kleinere Fragmente in der Niere. Aus diesen zurückgelassenen Resten können innerhalb von Monaten oder Jahren erneut größere Nierensteine entstehen – und weitere Eingriffe werden nötig“, erläutert Diplom-Ingenieur Manfred Peschka.

Die Lösung: Ein Hydrogel mit zwei Komponenten

In Zusammenarbeit mit der Klinik für Urologie des Universitätsklinikums Freiburg entwickelten die beiden Forscher in den nun folgenden Jahren ein biokompatibles Hydrogel, das heute in vielen Ländern unter dem Namen mediNiK als Medizinprodukt zugelassen ist. Es besteht aus zwei flüssigen Komponenten, die nacheinander über ein Endoskop in die Niere gegeben werden. Die erste Komponente benetzt den Steingries und bettet auch die kleineren Fragmente ein. Nach Zugabe der zweiten Komponente bildet sich innerhalb weniger Minuten ein Gel, das stabil genug ist, um die Steinreste im Inneren festzuhalten – und elastisch genug, um über das Endoskop entfernt zu werden. Für den Einsatz des Hydrogels wird das Endoskop verwendet, mit dem zuvor bereits die größeren Steinfragmente aus der Niere entfernt wurde (siehe Kasten) – ein großer Vorteil dieses Verfahrens, da keine weiteren OP-Instrumente benötigt werden. „Mit dem Hydrogel können die zurückgebliebenen Steinfragmente effektiv aus der Niere entfernt werden – mit einem für die Patienten sicheren und für die Ärzte einfach durchzuführenden Eingriff“, fasst Peschka zusammen.

Der Wettbewerb GO-Bio: Starthilfe für Firmengründungen

Bis aus einer guten Idee ein marktreifes Produkt wird, ist es oft ein langer und kostenintensiver Weg. „Auch bei uns sind zunächst über zwei Jahre ins Land gegangen, bis wir unser Projekt intensiv vorantreiben konnten. Die Zwischenzeit haben wir dazu genutzt, um in Spätschicht oder am Wochenende an dem Projekt weiterzuarbeiten – aber eben auf Sparflamme“, so Peschka. Den Wendepunkt brachte die Förderung durch die „Gründungsoffensive Biotechnologie − GO-Bio“, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ins Leben gerufen hat. Die geförderten Arbeitsgruppen sollen neue Forschungsansätze in den Lebenswissenschaften verfolgen und deren kommerzielle Verwertung zielgerichtet vorbereiten. Dabei erfolgt die Förderung durch das BMBF gezielt bereits in der Frühphase der Projekte.

Professor Dr. Ingo Grunwald und Diplom-Ingenieur Manfred Peschka stehen in einem Labor.

Professor Dr. Ingo Grunwald und Diplom-Ingenieur Manfred Peschka

IFAM Bremen

Neben einer guten Forschungsidee sind aber auch unternehmerisches Know-how und zusätzliche Investoren für das langfristige Gelingen eines Projekts entscheidend. Im GO-Bio-Programm wird daher auch die unternehmerische Kompetenz der Forschenden in den sogenannten Gründungsgesprächen gefördert. Ein Beratungsteam hilft zudem dabei, private Gelder für die Projekte einzuwerben. „Durch die GO-Bio-Förderung konnten wir ein Team zusammenstellen, das nicht nur aus Forschenden bestand. Dieser Blick über den Tellerrand – die Überlegung: Wie können wir eine Firma daraus machen? Das ist etwas, was Biologen während ihrer Ausbildung nicht lernen. Uns hat es daher enorm geholfen, dass wir erfahrene Menschen aus der Wirtschaft einbinden konnten“, so Grunwald. Die sorgfältige Planung führte zum Erfolg: Im Jahr 2017 gründeten Grunwald und Peschka die Purenum GmbH als Spin-off des IFAM in Bremen. Seit Mitte 2023 agiert diese als Tochterunternehmen der FARCO-PHARMA GmbH, über die mediNiK nun bereits in vielen Ländern der Welt angeboten wird – knapp zehn Jahre nach dem initialen Anruf des Freiburger Urologen mit dem damals ungelösten Problem der kleinen Steinfragmente.

Oft ist es so, dass Forschende im Labor etwas entwickeln – und dann überlegen, wie sie ihr Produkt erfolgreich vermarkten können. Das Spannende hier war, dass die Anfrage direkt aus dem Markt kam. Denn das bedeutet: Es gibt wirklich einen Bedarf!
 

Professor Dr. Ingo Grunwald

Klebeverfahren für Knochenbrüche

Die Forschungsaktivitäten der Purenum GmbH laufen indes weiter: In dem ebenfalls durch die GO-Bio-Initiative des BMBF geförderten Nachfolgeprojekt mediGLUE entwickelten die beiden Forscher gemeinsam mit ihren Mitarbeitenden Klebstoffe, die zukünftig für den Zusammenhalt von Knochenfragmenten eingesetzt werden könnten. Ihre Idee: Wenn sich selbst kleine Knochensplitter nach einem komplizierten Bruch durch einen Klebstoff in den Heilungsprozess integrieren ließen, könnte das die Beweglichkeit des Gelenks nach dem Abheilen des Bruchs deutlich verbessern. Auch ein Klebstoff, der als Ersatz für Platten, Schrauben und Nägel nach einem Bruch eingesetzt wird, ist für die beiden theoretisch denkbar. Er könnte eine zweite Operation zur Entfernung der eingebrachten Materialien zukünftig unnötig machen. „Das ist aktuell noch Science-Fiction“, sind sich die beiden Gründer einig, ergänzen aber: „Wer etwas erreichen will, muss sich hohe Ziele setzen und auch die Möglichkeit des Scheiterns einkalkulieren. Und wir sind nun einmal Optimisten!“

Nierensteine

Nierensteine bilden sich aus Bestandteilen des Urins. Ab einer bestimmten Größe können diese nicht mehr ausgeschieden werden und verbleiben in der Niere. Bereiten sie hier Probleme, stehen den behandelnden Ärztinnen und Ärzte mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, sie zu entfernen. Eine gängige Methode ist ein kleiner Eingriff: Die Ärztin oder der Arzt führt über ein Endoskop einen kleinen Greifer in die Niere ein. In der Niere wird der Stein, wenn dieser zu groß ist, um selbst aus der Niere herauszukommen, zunächst mechanisch oder mithilfe eines Lasers zertrümmert. Die größeren Fragmente können nun über den Greifer gefasst und entfernt werden. Bei den kleineren Fragmenten gelingt dies allerdings nicht, es ist etwa so, als ob man mit einer Gabel Reiskörner aufnehmen möchte. Scheidet der Körper diese Fragmente nicht mit dem Urin aus, besteht ein hohes Risiko, dass sich aus ihnen wieder größere Nierensteine bilden.