Februar 2025

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Die richtigen Medikamente: Auch im Alter gut versorgt?

Professorin Petra Thürmann erforscht, wie Medikamente bei älteren Menschen wirken. Gemeinsam mit ihrem Team hat sie eine Liste erstellt, die auf mögliche Wechsel- und Nebenwirkungen hinweist und zugleich Alternativen benennt.

Eine ältere Patientin betrachtet ihre Tabletten.

Der Körper verändert sich im Alter – deshalb sollte regelmäßig überprüft werden, welche Wirkstoffe eingenommen werden und ob diese noch gut verträglich sind.

famveldman/stock.adobe.com

Für fast jede dritte Person über 65 Jahre gehören fünf oder mehr Medikamente zur täglichen Routine − ein bunter Cocktail aus Wirkstoffen, der mitunter auch gefährlich werden kann. Denn insbesondere im Alter wird unser Körper anfällig für unerwünschte Nebenwirkungen. Gibt es also Medikamente, die wir mit zunehmendem Alter lieber nicht mehr einnehmen sollten? Und solche, die besser verträglich sind?

Professorin Petra A. Thürmann ist diesen Fragen auf den Grund gegangen. Herausgekommen ist dabei die PRISCUS-Liste (priscus, lateinisch: alt, ehrwürdig). Sie benennt Wirkstoffe, die für ältere Menschen möglicherweise ungeeignet sein könnten, und schlägt besser verträgliche Behandlungsalternativen vor. Thürmann ist Direktorin des Philipp-Klee-Instituts für Klinische Pharmakologie am Helios Universitätsklinikum Wuppertal und lehrt das Fach Klinische Pharmakologie für Medizinstudierende an der Universität Witten/Herdecke.

Frau Professorin Thürmann, was bedeutet es für die Patientinnen und Patienten, wenn eines ihrer Medikamente auf der PRISCUS-Liste steht?

Für jüngere Menschen sind diese Medikamente in der Regel unbedenklich. Sie können zwar Nebenwirkungen hervorrufen, diese sind aber für sie meist gut zu verkraften. Für Menschen über 65 Jahre können diese Nebenwirkungen allerdings gefährlich werden, auch wenn sie die Medikamente zuvor vielleicht über eine lange Zeit gut vertragen haben. Das liegt unter anderem daran, dass Nebenwirkungen bei älteren Menschen häufig stärker ausgeprägt sind.

Nehmen wir den Schwindel als Beispiel: Jüngeren Menschen macht ein leichtes Schwindelgefühl in der Regel nicht viel aus. Bei älteren Menschen erhöht sich dadurch allerdings die Sturzgefahr – verstärkt noch dadurch, dass die Sehkraft vielleicht bereits etwas nachgelassen hat. Und Stürze führen im höheren Alter leider häufig auch zu Knochenbrüchen.

Woran liegt es denn, dass Nebenwirkungen mit dem Alter stärker werden können?

Ältere Menschen haben einen langsameren Stoffwechsel als jüngere. Oft ist auch die Leber- und Nierenfunktion leicht eingeschränkt. Medikamente werden dadurch langsamer abgebaut und ausgeschieden – sie wirken länger und auch stärker. Dadurch können unerwünschte Nebenwirkungen entstehen. Hinzu kommt, dass ältere Menschen oft mehrere Medikamente gleichzeitig einnehmen – Wechselwirkungen zwischen diesen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle.

Was sollte eine Person über 65 Jahre tun, wenn eines ihrer Medikamente auf der PRISCUS-Liste steht?

Sie sollte mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt darüber sprechen. Gemeinsam können sie überlegen, ob das Medikament abgesetzt werden sollte. Für diesen Fall benennt die PRISCUS-Liste Behandlungsalternativen: besser verträgliche Medikamente oder andere Therapieoptionen, beispielsweise Gang- oder Konzentrationsübungen sowie sportliche Aktivitäten.

Aber nicht immer muss ein Medikament gleich abgesetzt werden. In vielen Fällen reicht es auch aus, die Dosierung anzupassen oder die Einnahme zeitlich zu begrenzen. Das wird die Ärztin oder der Arzt gemeinsam mit der Patientin oder dem Patienten abwägen.

Wie geht es weiter?

Patientinnen und Patienten vor unerwünschten Wechsel- und Nebenwirkungen von Medikamenten besser zu schützen – das ist auch eines der Ziele der Medizininformatik-Initiative, die durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird. Das Team um Professorin Petra Thürmann beteiligt sich an wissenschaftlichen Datenanalysen zu diesem Thema. Hierbei spielt die PRISCUS-Liste eine wichtige Rolle.

Mit der Medizininformatik-Initiative werden die Chancen der Digitalisierung an den Universitätskliniken in Deutschland genutzt, um den Patientinnen und Patienten zu helfen. Dazu gehört das Projekt POLAR und sein Folgeprojekt INTERPOLAR, deren Ziel es ist, dass Medikationsprobleme zukünftig vermieden oder zumindest schneller erkannt werden. Aber beispielsweise auch, mit einem Algorithmus bereits vorher genau die Patientinnen und Patienten zu identifizieren, die ein hohes Risiko für Medikationsfehler und Nebenwirkungen haben. Das könnte zukünftig auch die Arbeit der Stationsapothekerinnen und -apotheker vereinfachen, die im Krankenhaus oft unter sehr anstrengenden Bedingungen Entscheidungen treffen.

Wie komme ich denn an die PRISCUS-Liste? Und ist sie für mich überhaupt verständlich?

Die ursprüngliche Version der Liste ist komplex – und richtet sich an Fachkräfte. Damit aber auch ältere Menschen, ihre Angehörigen und Pflegenden sie nutzen können, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Informationen allgemeinverständlich aufgearbeitet und in Form einer Broschüre veröffentlicht. Diese ist beispielsweise über die Internetseite des Ministeriums erhältlich. Die Medikamente werden hier – wie auch auf der ursprünglichen Version der Liste – nicht nach ihren Handelsnamen, sondern nach ihren Wirkstoffen benannt. Beides steht sowohl außen auf der Packung als auch auf dem Beipackzettel.

Die Broschüre wird übrigens häufig auch von Pflegekräften in Altenheimen genutzt, um die Verträglichkeit der Medikamente der Bewohnerinnen und Bewohner zu überprüfen. Das freut uns natürlich sehr.

Gibt es neben Schwindel noch weitere Nebenwirkungen, die häufig bei älteren Menschen auftreten?

Die Nebenwirkungen können sehr unterschiedlich sein. Das Tückische ist, dass sie häufig den Symptomen entsprechen, die auch als eine Folge des Alters auftreten können – ein leichter Blutdruckabfall etwa, eine geringfügige Verschlechterung des Denkvermögens oder häufigere Toilettengänge. Dadurch besteht die Gefahr, dass diese Nebenwirkungen nicht als solche erkannt werden, sondern dem natürlichen Prozess des Alterns zugeschrieben werden.

Wie kann denn sicher festgestellt werden, dass es sich eben doch um eine Nebenwirkung handelt?

Verdächtig sind Symptome, die erstmals einige Tage oder Wochen nach einer Medikamentenumstellung auftreten. In diesem Fall sollten sich die Betroffenen an ihre Ärztin oder ihren Arzt wenden. Sicherheit besteht allerdings erst dann, wenn die Dosierung des Medikaments angepasst oder es ganz abgesetzt wurde und die Nebenwirkungen verschwinden.

Wie viele Menschen leiden unter diesen unerwünschten Nebenwirkungen?

Leider wissen wir nicht, wie viele Menschen unter leichteren Nebenwirkungen leiden. Hierzu fehlen uns die Daten. Wir wissen aber, dass Neben- und Wechselwirkungen von Medikamenten bei etwa zehn Prozent der älteren Menschen der Grund dafür sind, dass sie im Krankenhaus behandelt werden müssen.

Portrait von Professorin Dr. Petra Thürmann

Professorin Dr. Petra Thürmann

BMBF

Kann die PRISCUS-Liste dazu beitragen, dass weniger Medikamente an ältere Menschen verschrieben werden, die für sie möglicherweise ungeeignet sind?

Die Daten der gesetzlichen Krankenkassen deuten darauf hin, dass die Liste zumindest dazu beiträgt. Denn seit ihrer Veröffentlichung werden deutlich weniger dieser Medikamente an Menschen über 65 Jahre verschrieben. Das ist ein enormer Erfolg.

Wie nutzen denn Ärztinnen und Ärzte die Liste?

Das hat sich mit der Digitalisierung sehr geändert. Vor zehn Jahren wurde die Liste häufig noch als Vorlage für den Schreibtisch ausgedruckt – eine große Vorlage mit einer langen Liste an Behandlungsalternativen. Heutzutage ist sie Teil der Software, die in Krankenhäusern und im niedergelassenen Bereich genutzt wird: Während die Medikamente der Patientinnen und Patienten zusammengestellt werden, läuft diese Software im Hintergrund und prüft beispielsweise Wechselwirkungen und Dosierung.

Die Liste wird aber auch in Apotheken eingesetzt. Insbesondere bei freiverkäuflichen Medikamenten, die eben nicht ärztlich verschrieben werden, ist es hilfreich, wenn Apothekerinnen und Apotheker mögliche Wechsel- und Nebenwirkungen im Blick haben und gegebenenfalls ein anderes Präparat empfehlen können.

Wie haben Sie diese Liste erstellt?

Zunächst einmal haben mein Team und ich die komplette wissenschaftliche Literatur durchforstet: Was gibt es bereits für Erkenntnisse zu Nebenwirkungen im Alter? Welche Medikamente werden da genannt? Und was wissen wir aus anderen Ländern? Auf diese Art und Weise sind rund 250 Medikamente zusammengekommen, die wir dann von über 50 Expertinnen und Experten bewerten ließen. Unter ihnen waren beispielsweise Ärztinnen und Ärzte aus den verschiedenen Fachbereichen, aber auch Apothekerinnen und Apotheker sowie Fachkräfte aus den Alten- und Pflegeheimen. Übrig geblieben ist eine Liste mit 177 Medikamenten – eben die PRISCUS-Liste.

Studien zur Verträglichkeit von Arzneimitteln führt meist die Pharmaindustrie durch. Warum hat in diesem Fall die öffentliche Hand Ihre Forschung gefördert?

Mit Projekten wie diesem lässt sich kein Geld verdienen. Der pharmazeutischen Industrie fehlt daher der finanzielle Anreiz, solch aufwendige Arbeiten durchzuführen. Es gehört aber auch nicht zu den Aufgaben der Arzneimittelzulassungsbehörden. Wegen der besonders hohen Relevanz für die Versorgung hat deshalb das BMBF unsere Forschung unterstützt.

Vielen Dank für das Gespräch.
 

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