Ein Leben lang Medikamente einnehmen – das ist das Schicksal vieler Menschen, die unter einer chronischen Hepatitis-B-Infektion leiden. In vielen Fällen ist das jedoch gar nicht nötig, wie eine klinische Studie aus Leipzig wissenschaftlich belegt.
Rund 250 Millionen Menschen weltweit leiden unter einer chronischen Hepatitis-B-Infektion, viele von ihnen nehmen ein Leben lang Medikamente ein.
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Hepatitis B gehört zu den häufigsten Infektionskrankheiten des Menschen. Die Viren, die über Körperflüssigkeiten übertragen werden, können schwerwiegende Entzündungen in der Leber hervorrufen. Verläuft die Infektion chronisch, besteht zudem die Gefahr, an einer Leberzirrhose oder an Leberkrebs zu erkranken.
Rund 250 Millionen Menschen weltweit leiden unter einer chronischen Hepatitis-B-Infektion (CHB), etwa die Hälfte von ihnen unter der sogenannten HBe-Antigen-negativen Form der Erkrankung, die besonders weit verbreitet ist. „Wir können Menschen mit dieser CHB-Form mit Medikamenten gut behandeln − mit Nukleosid- beziehungsweise Nukleotidanaloga, den sogenannten NUCs. Diese verringern die Virenlast und normalisieren die Entzündungsprozesse in der Leber. Allerdings führen sie nur sehr selten zu einer Heilung: Die meisten Patientinnen und Patienten nehmen daher ein Leben lang NUCs ein, um einen Rückfall zu vermeiden“, erläutert Professor Dr. Florian van Bömmel, Oberarzt am Universitätsklinikum Leipzig.
Doch es gibt eine Alternative, wie van Bömmel und sein Forschungsteam nachweisen konnten: „Unsere Studienergebnisse zeigen, dass viele Patientinnen und Patienten davon profitieren, wenn sie ihre NUCs nach einer bestimmten Zeit absetzen. Sie können damit einen besseren Behandlungserfolg erreichen als mit dem Fortführen der Therapie – und das ohne Nebenwirkungen und ohne die mit der Therapie verbundenen Kosten.“
Vielversprechende Ergebnisse nach Therapiestopp
Die Erkenntnisse der Leipziger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beruhen auf einer von ihnen durchgeführten klinischen Studie, die erstmals untersucht, wie sich ein Therapiestopp auf den CHB-Krankheitsverlauf auswirkt.
Knapp zwei Jahre nach dem Therapiestopp konnte das Virus bei etwa zehn Prozent der Studienteilnehmenden im Blut nicht mehr nachgewiesen werden, so ein zentrales Ergebnis der Studie – medizinisch gesehen gelten sie damit als geheilt. Diesen Erfolg konnten die Forschenden bei keinem der Studienteilnehmenden feststellen, die im Vergleich dazu auch weiterhin mit NUCs behandelt wurden. Zudem sank bei vielen weiteren Teilnehmenden nach Absetzen der Medikamente die Viruslast im Blut so stark, dass auch bei ihnen eine weiterführende Behandlung nicht mehr notwendig war. Sechs Jahre später galten etwa 20 Prozent der Probandinnen und Probanden ohne NUC-Therapie als geheilt, vier von fünf konnten aufgrund der geringen Virenlast auch weiterhin auf die Medikamente verzichten.
Medikamente nur unter ärztlicher Begleitung absetzen
Kurz nach dem Absetzen der NUCs beobachteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei allen Teilnehmenden zunächst einen Anstieg der Viren im Blut. Als Folge davon gelang es dem Immunsystem vieler Patientinnen und Patienten, die Infektion dauerhaft zu kontrollieren. Doch nicht immer war das erfolgreich: Drohte durch das Wiederaufflammen der Infektion eine Schädigung der Leber, so wurde die Therapie wieder aufgenommen. „Das zeigt, wie wichtig es ist, dass das Absetzen der Medikamente ärztlich begleitet wird – damit bei einem gefährlichen Wiederaufflammen der Erkrankung schnell und wirkungsvoll gegengesteuert werden kann“, warnt van Bömmel.
Aktuell planen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine weitere Studie dazu, wie das Immunsystem der Erkrankten dabei unterstützt werden kann, die Infektion dauerhaft zu kontrollieren. Zudem entwickeln sie gemeinsam mit weiteren Forschenden Konzepte, wie ein Absetzen der Medikamente auch in ressourcenärmeren Gegenden der Welt sicher und wirkungsvoll durchgeführt werden kann – in den Ländern also, in denen Hepatitis-B-Infektionen deutlich häufiger auftreten als in Europa.
Mehr zur STOP-NUC-Studie
Die STOP-NUC-Studie ist weltweit die erste klinische Studie, die untersucht, wie sich das Absetzen der gängigen antiviralen Therapie auf den Verlauf einer HBe-Antigen-negativen Hepatitis-B-Erkrankung auswirkt. Durchgeführt wurde sie unter Federführung der Universitätsmedizin Leipzig und in Kooperation mit dem Zentrum für Klinische Studien Leipzig. Das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) unterstützte die Forschungsarbeiten mit rund 1,1 Millionen Euro.
An der Studie nahmen 166 Patientinnen und Patienten aus 25 Kliniken in Deutschland teil. Voraussetzung für die Teilnahme war, dass sie aufgrund einer chronischen HBe-Antigen-negativen Hepatitis-B-Erkrankung bereits seit mindestens vier Jahren wirkungsvoll mit NUCs behandelt wurden. Menschen mit einer Leberzirrhose konnten nicht teilnehmen.
Nach dem Zufallsprinzip wurden die Probandinnen und Probanden in zwei Gruppen aufgeteilt: in eine Kontrollgruppe mit fortgesetzter Therapie und in eine Interventionsgruppe mit Therapiestopp. Alle Teilnehmenden wurden zunächst 96 Wochen ärztlich begleitet; 99 von ihnen stimmten darüber hinaus zu, über einen verlängerten Zeitraum von mindestens sechs Jahren beobachtet zu werden.
Originalpublikation:
van Bömmel, F., et al. (2023): A multicenter randomized-controlled trial of nucleos(t)ide analogue cessation in HBeAg-negative chronic hepatitis B. Journal of Hepatology 2023 (Vol 78, Issue 5, 926-936). DOI:10.1016/j.jhep.2022.12.018
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Florian van Bömmel
Universität Leipzig
Liebigstraße 20
04103 Leipzig
Florian.vanBoemmel@medizin.uni-leipzig.de