Februar 2025

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BNT162b2: Ein deutscher Impfstoff für die Welt

Ende Dezember 2019: Ein bislang unbekanntes Virus verbreitet sich rasant auf der ganzen Welt. Die von ihm ausgelöste Krankheit COVID-19 fordert Millionen Menschenleben – bis ein in Deutschland entwickelter Impfstoff Medizingeschichte schreibt.

Eine Frau injiziert eine Spritze in den Arm einer älteren Frau

Weniger als ein Jahr nach den ersten entdeckten Infektionen konnten in Deutschland die ersten Impfungen gegen COVID-19 starten.

Rido/stock.adobe

Mit seinem Impfstoff BNT162b2 – auch bekannt unter dem Markennamen Comirnaty – rückt das Mainzer Unternehmen BioNTech die deutsche Biotechnologie 2020 in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Der Geschäftsführer des Unternehmens, Professor Dr. Uğur Şahin, Krebsmediziner und Immunologe, ist früh davon überzeugt, dass das bis dahin unbekannte Coronavirus SARS-CoV-2 eine weltweite Pandemie auslösen wird. Ende Januar 2020 wird ein Großteil der Ressourcen des Unternehmens auf die Bekämpfung des sich ausbreitenden Erregers konzentriert, von dem zunächst wenig mehr bekannt ist, als dass er die Atemwege befällt und Menschen sich anstecken und ihn übertragen können, ohne selbst Symptome zu zeigen. Weltweit werden die ersten Todesfälle gemeldet, im Frühjahr müssen Lockdowns verhängt werden, erklärt die Weltgesundheitsorganisation WHO den Ausbruch der Krankheit zur Pandemie. Die Entwicklung eines Impfstoffs wird zum Wettlauf gegen die Zeit.

mRNA-Technologie wird zum Schlüssel in der Bekämpfung von SARS-CoV-2

BioNTech aber hat einen Startvorteil: Seit den 1990er-Jahren schon forschen Uğur Şahin und Özlem Türeci, ebenfalls ausgebildete Medizinerin und Immunologin und Chief Medical Officer bei BioNTech, an neuen Ansätzen zur Behandlung von Krebs. Sie wollen ein im menschlichen Körper natürlicherweise vorkommendes Molekül, die sogenannte mRNA, nutzen, um dem Immunsystem bestimmte Merkmale von Krebszellen oder Viren zu vermitteln. Diesen Ansatz adaptieren sie für Comirnaty: Der Impfstoff enthält den Bauplan für die Produktion eines Proteins, das auf der Oberfläche von SARS-CoV-2 vorkommt.

Es war eine gigantische Aufgabe. Es geht ja im Grunde darum, Dinge zu tun, die vorher noch nie gemacht wurden, mit einem Team, das dies zum ersten Mal macht.

Professorin Dr. Özlem Türeci

In der Regel dauert es zehn bis 15 Jahre, bis ein neuer Impfstoff auf dem Markt verfügbar ist. Beim Mainzer Biotechnologie-Unternehmen aber soll es schneller gehen – möglichst mit „Lichtgeschwindigkeit“, denn in einer Pandemie zählt die Zeit. Die Forschenden taufen ihr Vorhaben deshalb „Project Lightspeed“: „Damit jedem klar ist, dass wir wie das Licht – auf dem kürzesten Weg in der kürzesten möglichen Zeit – diesen Impfstoff entwickeln müssen“, sagt Uğur Şahin.

Schnelligkeit aber darf nicht auf Kosten der Sicherheit gehen; bei der Entwicklung eines Impfstoffs braucht es präklinische Studien im Labor und mehrere Phasen klinischer Studien, in denen Wirksamkeit und Verträglichkeit des ausgewählten Kandidaten an einer immer höheren Zahl von freiwilligen Probandinnen und Probanden getestet wird. Normalerweise erhalten die für eine Marktzulassung zuständigen Behörden erst am Ende einer Arzneimittelentwicklung alle Dokumente der Studien zur Prüfung – ein Prozess, der Jahre dauern kann.

Menschen in Ganzkörperschutzanzügen arbeiten in einem Labor

Das deutsche Unternehmen BioNTech produzierte seinen mRNA-Impfstoff auch in Deutschland – genauer gesagt im hessischen Marburg.

BioNTech SE

Das Team von BioNTech aber geht die notwendigen Schritte bei der Impfstoffentwicklung gleichzeitig an: Nach der zügigen Entschlüsselung des Virusgenoms durch Forschende in China suchen sie parallel nach geeigneten Wirkstoffkandidaten und gehen in deren Testung, auch führen sie früh Gespräche mit den Genehmigungsbehörden. Statt alle Studien zuerst abzuschließen und die Ergebnisse dann vorzulegen, erhalten die Behörden bereits Einsicht in die Daten, während die Studien noch laufen. Ebenso wichtig bei „Project Lightspeed“: Die Suche nach potenziellen Geldgebern, der Aufbau von Produktionskapazitäten und die Suche nach einem Partner für den Vertrieb des Impfstoffs, der letztendlich im weltweit agierenden Pharmaunternehmen Pfizer gefunden wurde.

Die Forschung musste nicht bei null starten

Dem Team um Şahin und Türeci hilft, dass die Forschung in Deutschland nicht bei null starten muss, denn schon seit den Ausbrüchen verwandter Erreger in den Jahren 2002 und 2012 wird hierzulande an Coronaviren geforscht. Die Erkenntnisse aus dieser Zeit können für SARS-CoV-2 genutzt werden – das spart enorm viel Zeit.

Auch die zunächst als Krebstherapie entwickelte mRNA-Technologie ist dank langjähriger Forschungsförderung zu Beginn der Coronapandemie bereits weit fortgeschritten und einsatzbereit. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat nicht nur die entscheidenden ersten Jahre von BioNTech zwischen 2007 und 2013 maßgeblich unterstützt; von 2012 bis 2017 erhielt das Unternehmen über das Forschungscluster „Ci3“ (Cluster für Individualisierte ImmunIntervention) rund 13 Millionen Euro für die Erforschung maßgeschneiderter Immuntherapien. In der Coronapandemie förderte das BMBF die Impfstoffentwicklung bei BioNTech 2020 und 2021 mit 375 Millionen Euro. Dabei wurden sowohl die für die Zulassung des Impfstoffs nötigen klinischen Studien als auch die Arbeiten zur späteren Weiterentwicklung des Vakzins (beispielsweise zur Anpassung an die Omikron-Variante von SARS-CoV-2) mit unterstützt.

Wissenschaftliche Optimierung braucht Zeit und Geduld und ehrliche Kommunikation und die Bereitschaft, auch über eine Dekade oder länger zu investieren.

Professor Dr. Uğur Şahin

Bei der Entwicklung des Pfizer-BioNTech-Impfstoffs kommen also viele Dinge zusammen: Leidenschaftlich Forschende wie Uğur Şahin und Özlem Türeci und das Team bei BioNTech, Geld für die Grundlagenforschung, das sich möglicherweise erst nach Jahren oder Jahrzehnten bezahlt macht, ebenso wie die Bereitschaft, unternehmerische und finanzielle Wagnisse einzugehen. Und noch etwas braucht es, weiß Özlem Türeci: „Wer zu einem Wanderer zwischen den Welten, zwischen Wissenschaft und Anwendung werden will, der muss zwei Dinge kombinieren – Mut und Demut.“ Es erfordere Mut, definierte Karrierewege zu verlassen, persönliche Risiken einzugehen und an einer wissenschaftlichen Vision festzuhalten, und es müssen Expertisen und Menschen zusammengeführt werden, die gemeinschaftlich, mit unternehmerischem Geist und nachhaltig dafür sorgen, dass Translation gelingt. „Dafür braucht es Demut. Mit Ego allein geht das nicht“, so die Wissenschaftlerin.

So funktioniert der COVID-19-Impfstoff von BioNTech

Der Impfstoff BNT162b2 – auch bekannt unter dem Markennamen Comirnaty – beruht auf der mRNA-Technologie. Die Technologie wurde ursprünglich erst vom akademischen Forschungsteam Şahin-Türeci und dann von BioNTech für die Krebsbehandlung optimiert und mit Ausbruch der Coronapandemie an die Nutzung als pandemischer Impfstoff angepasst. Umhüllt mit winzigen Fettpartikeln gelangen sogenannte Botenmoleküle (Boten- oder messenger-RNA, kurz mRNA) mit der Impfung in Körperzellen. Dort bringt die mRNA die Zellen gezielt dazu, ein bestimmtes Protein zu produzieren. Im Fall von Comirnaty ist das ein Eiweiß auf der Oberfläche von SARS-CoV-2, das Spike-Protein. Darauf reagiert das Immunsystem mit der Bildung von Abwehrstoffen (Antikörpern) und T-Zellen. Das Immunsystem kennt also schon ein Muster des Virus, bevor es ihm begegnet – so ist eine geimpfte Person gewappnet, wenn sie sich mit dem Virus infizieren sollte. Die gebildeten Antikörper heften sich an das eingedrungene Virus, sodass die Viren keine oder weniger Körperzellen infizieren können. Dies kann zu leichteren Krankheitsverläufen oder sogar zum Schutz vor Infektion führen.

Impfstoff in knapp zehn Monaten: In Rekordzeit zum Erfolg

In der Coronapandemie setzen BioNTech und sein US-amerikanischer Partner Pfizer all das ein, um in Rekordzeit zu einem Erfolg zu kommen: Mitte April 2020 ist ein geeigneter Wirkstoff gefunden, eine knappe Woche später genehmigen die deutschen Behörden dessen klinische Prüfung am Menschen, im Juli startet eine weltweite Studie mit Zehntausenden Freiwilligen.

Professorin Dr. Özlem Türeci und Professor Dr. Uğur Şahin

Ärzte, Immunologen, Unternehmensgründer und Forschende aus Leidenschaft: Professorin Dr. Özlem Türeci und Professor Dr. Uğur Şahin

BioNTech SE

Am 9. November schließlich, einem Sonntag, erhält Uğur Şahin die erlösende Nachricht: Eine unabhängige Überprüfung der Studienergebnisse belegt die hohe Wirksamkeit des verabreichten Vakzins – die Impfung schützt bis zu 95 Prozent vor einer Erkrankung an COVID-19 mit dem damaligen Erreger.

Damit schreibt ein deutsches Biotechnologie-Unternehmen Medizingeschichte: Comirnaty ist das erste auf dem europäischen Markt zugelassene Vakzin gegen SARS-CoV-2 und weltweit das erste kommerziell zugelassene medizinische Produkt auf mRNA-Basis. Ende Dezember – weniger als ein Jahr nach den ersten entdeckten Infektionen – starten hierzulande die ersten Impfungen. Andere Hersteller können nachziehen, doch wird das von BioNTech entwickelte Vakzin einer der entscheidenden Schlüssel in der Bekämpfung der weltweiten Pandemie. Inzwischen sind Milliarden Menschen weltweit besser vor COVID-19 geschützt – viele davon mit dem in Deutschland entwickelten Impfstoff.

Nachgefragt

Wie hat sich die Coronapandemie auf Ihr eigentliches Forschungsfeld – die Behandlung von Krebserkrankungen – ausgewirkt?

Die Pandemie hat die Stärken, die wir in der mRNA-Technologie gesehen haben, unter Beweis gestellt und auch auf regulatorischer Ebene den Weg geebnet. mRNA ist mittlerweile eine anerkannte Technologie und wir glauben weiter fest daran, dass sie das Potenzial hat, die Standardbehandlung für verschiedene Krankheiten wie Krebs zu verbessern.

Wo steht die mRNA-Technologie heute, gegen welche Erkrankungen kann sie eingesetzt werden?

Wir haben aktuell verschiedene klinische Studien mit mRNA-basierten Behandlungsansätzen laufen, sowohl gegen Infektionskrankheiten wie Malaria, Tuberkulose und mpox als auch in verschiedenen Krebsindikationen wie Magen-, Lungen und Darmkrebs.

Wie kann eine Impfung gegen Krebs aussehen?

Krebs ist eine sehr komplexe Erkrankung. Es gibt viele unterschiedliche Krebsarten in verschiedenen Stadien und diese unterscheiden sich von Patient zu Patient. Sogar innerhalb eines Tumors eines Patienten gibt es unterschiedliche Krebszellen. Deshalb arbeiten wir an Behandlungsansätzen, bei denen eine Impfung entweder auf eine spezielle Krebsart oder sogar auf den Tumor eines individuellen Patienten zugeschnitten ist. Dafür analysieren wir die Tumorprobe eines einzelnen Patienten und wählen mithilfe von KI die Mutationen aus, die sich am besten dafür eignen, dass das Immunsystem diesen Tumor präzise erkennt und attackiert.  Die Impfung wird dann auf Basis dieser Analyse hergestellt.

Wann wird die Impfung kommen?

Für unsere ersten mRNA-basierten Krebsimpfstoffe erwarten wir aktuell, dass sie noch vor 2030 zugelassen werden können.