Deutsche und europäische onkologische Initiativen so vernetzen, dass Betroffene direkt von innovativer Krebsmedizin profitieren – Benedikt Westphalen, Arzt, Mitglied im Strategiekreis der Dekade und im EU Cancer Mission Board, hat eine klare Vision.
Dr. Benedikt Westphalen, Ärztlicher Leiter der Präzisionsonkologie am Comprehensive Cancer Centre München.
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Sie sind Mitglied des Cancer Mission Boards der Europäischen Kommission. Welche konkreten Ziele verfolgt die Europäische Krebsmission, und wo sehen Sie die größten Herausforderungen und Chancen?
Die Europäische Krebsmission verfolgt das ambitionierte Ziel, bis 2030 die Lebensperspektive von drei Millionen Menschen mit Krebs zu verbessern, und verkörpert dabei auch eine klare europäische Idee: gemeinsam klüger, schneller und effektiver handeln, indem wir Kräfte und Ressourcen bündeln. Die Krebsmission stützt sich auf die drei Säulen verbesserte Prävention, präzisere Diagnostik und Behandlung sowie Verbesserung der Lebensqualität. Die größte Herausforderung liegt in der Komplexität der europäischen Zusammenarbeit – unterschiedliche Gesundheitssysteme, komplexe regulatorische Gegebenheiten und fragmentierte Strukturen müssen harmonisiert werden. Gleichzeitig ist diese Vielfalt Europas größte Stärke und Chance. Wenn wir aus ihr echte Vernetzung schaffen, profitieren Patientinnen und Patienten europaweit. Genau hierin liegt unsere größte Chance: eine Vision, die über nationale Grenzen hinausgeht und Europa zum Vorreiter innovativer und solidarischer Krebsmedizin macht.
Sie sind gerade als neues Strategiekreismitglied aufgenommen worden – wie kann die Nationale Dekade gegen Krebs aus Ihrer Sicht die Verknüpfung mit europäischen Initiativen angehen?
Die Nationale Dekade gegen Krebs kann europaweit zum Modell für die Umsetzung der Krebsmission werden – sie verbindet Forschung, Versorgung, Politik und Gesellschaft bereits heute auf einzigartige Weise. Um diese Vorreiterrolle auszubauen, müssen wir gezielt Schnittstellen zu europäischen Initiativen stärken, etwa durch strukturierten Austausch mit der Europäischen Kommission und anderen Mitgliedstaaten. Der Dialog über Best Practices, erfolgreiche Projekte und innovative Ansätze schafft Sichtbarkeit auf europäischer Ebene und konkreten Mehrwert für Deutschland. Wir sollten die europäische Zusammenarbeit nutzen, um nationale Forschung und Versorgung durch europäische Förderprogramme gezielt zu stärken und noch aktiver in europäischen Initiativen mitzuwirken. Die Dekade kann so nationale Stärken zu europäischen Erfolgen machen – und umgekehrt.
Welche neuen wissenschaftlichen Durchbrüche sehen Sie aktuell in der Krebsforschung, die in den nächsten fünf bis zehn Jahren die Behandlung revolutionieren könnten?
Aktuell stehen wir an der Schwelle mehrerer wissenschaftlicher Durchbrüche. Besonders wichtig ist die Integration Künstlicher Intelligenz. KI wird Diagnostik und Therapiesteuerung präziser und effizienter gestalten – durch automatisierte Bildanalyse, komplexe Mustererkennung oder individuelle Vorhersagemodelle für Therapieansprechen. Zugleich erleben wir eine weitere Verfeinerung der personalisierten Medizin: Molekulare und zelluläre Ansätze ermöglichen maßgeschneiderte Therapien, exakt abgestimmt auf den einzelnen Tumor. Parallel wächst das Verständnis individueller Einflussfaktoren auf Entstehung und Verlauf von Krebserkrankungen, was neue Möglichkeiten für gezielte Prävention und individualisierte Therapiekonzepte eröffnet. In der Prävention und Früherkennung sehe ich erhebliches Potenzial. Technologien wie Multi-cancer Early Detection (MCED) helfen, Tumoren früher und genauer zu entdecken. Künftig werden wir Erkrankungen nicht nur behandeln, sondern individuell angepasst verhindern können; dies verbessert langfristig Prognose und Lebensqualität.
Ein Schlüssel, die Innovationen in der Onkologie auch bei den Patientinnen und Patienten ankommen zu lassen, sind klinische Studien. Wie steht Deutschland hier im europäischen Vergleich mit dem im Rahmen der Nationalen Dekade gegen Krebs ausgebauten Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) da? Wie werden die aktuellen bahnbrechenden Entwicklungen die Durchführung und Art von klinischen Studien beeinflussen?
Deutschland verfügt über exzellente Strukturen, steht aber wie andere europäische Länder vor Herausforderungen: Klinische Studien werden komplexer, aufwendiger und kostenintensiver. Innovative Technologien wie Künstliche Intelligenz bieten uns Chancen, Studien smarter, effizienter und patientennäher durchzuführen. KI könnte uns darin unterstützen, geeignete Patientinnen und Patienten schneller zu identifizieren, Daten effektiver auszuwerten und individuellere Fragestellungen zu untersuchen. Das NCT hat hier die Möglichkeit, eine führende Rolle einzunehmen und gezielt „smarte“, KI-gestützte Studien zu etablieren – damit innovative Therapien schneller bei den Erkrankten ankommen und Deutschland so eine Position als Vorreiter für innovative und patientenzentrierte Krebsforschung im Bereich KI-gestützter Onkologie zu ermöglichen.
Was motiviert Sie persönlich, sich nicht nur wissenschaftlich, sondern auch politisch und konzeptionell für die Krebsbekämpfung zu engagieren?
Mich motiviert die Überzeugung, dass exzellente Wissenschaft nur dann ihren vollen Wert entfalten kann, wenn sie tatsächlich bei den Menschen ankommt. Ich sehe es als meine Aufgabe, Brücken zu bauen zwischen Forschung, Patientenversorgung, Politik und Gesellschaft. Es reicht nicht, nur Wissen zu schaffen – wir müssen dieses Wissen gemeinsam in tragfähige Konzepte übersetzen, die den Menschen wirklich helfen. Ich engagiere mich neben der Wissenschaft auch politisch und konzeptionell, um Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen Innovationen schneller Realität werden. Gemeinsam müssen wir dafür sorgen, dass Europa und Deutschland herausragende Wissenschaft nicht nur hervorbringen, sondern solidarisch und nachhaltig nutzen – stets mit klarem Fokus auf die Bedürfnisse der Betroffenen.
Ansprechpartnerin:
Alexia Parsons
Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt
Kapelle-Ufer 1
alexia.parsons@bmftr.bund.de
www.dekade-gegen-krebs.de