23.09.2025

| Aktuelle Meldung

Deutscher Lungentag: Mini-Organe im Kampf gegen Krebs

Lungenkrebs zählt zu den tödlichsten Krebserkrankungen. Forschende entwickeln sogenannte Organoide, die das menschliche Lungengewebe präzise nachbilden. Sie könnten dazu beitragen, Lungenkrebs besser zu verstehen und Therapien gezielter einzusetzen.

Eine Person betrachtet ein Röntgenbild einer Lunge

Röntgenbilder zeigen, wo der Tumor sitzt – Organoide könnten künftig mehr darüber verraten, wie er entsteht und wie er sich am besten bekämpfen lässt. 

Soloviova Liudmyla / Adobe Stock

Lungenkrebs gehört zu den aggressivsten und tödlichsten Krebsarten. In Deutschland erkranken jedes Jahr rund 60.000 Menschen neu daran. Damit ist Lungenkrebs nach Brust- und Prostatakrebs die zweithäufigste Krebserkrankung – und zugleich die mit der höchsten Sterblichkeit. Die Gründe: Die Tumoren werden oft spät erkannt und die Behandlungsmöglichkeiten sind noch begrenzt. Doch in der Forschung eröffnen sich neue Wege. Sogenannte Lungen-Organoide könnten künftig dazu beitragen, Diagnosen zu verbessern, Therapien zu personalisieren und Tierversuche zu reduzieren.

Organoide sind winzige, im Labor gezüchtete Mini-Organe. Anders als klassische zweidimensionale Zellkulturen bestehen diese Organmodelle aus verschiedenen Zelltypen, die sich dreidimensional anordnen. Dadurch können sie die Situation im menschlichen Körper deutlich realistischer abbilden. Für die Forschung bedeutet das einen doppelten Gewinn. Zum einen, weil damit Therapien patientennäher erprobt werden können. Zum anderen, weil sich Tierversuche einsparen lassen.

Projekt IPSELON – Krebsentstehung sichtbar machen

Noch stoßen die Modelle jedoch an ihre Grenzen: Organoide sind bislang oft weniger komplex als echte Organe. Genau hier setzt das Forschungsprojekt „IPSELON-2“ an. Ziel ist es, nicht nur gesundes Lungengewebe nachzubilden, sondern auch die Entstehung von Krebs sichtbar zu machen. „Mit diesem Modell können wir erstmals in humanen Zellen untersuchen, wie gesundes Gewebe sich in Tumorgewebe umwandelt“, erklärt Projektleiter Dr. Oleg Timofeev vom Institut für Molekulare Onkologie an der Universität Marburg.

Dafür werden die Organoide genetisch so verändert, dass sie typische Krebs-Mutationen in sich tragen. Zugleich erhöhen die Forschenden die Komplexität der Mini-Organe mit weiteren Zelltypen wie Blutgefäß- oder Muskelzellen. „So entsteht ein deutlich realistischeres Abbild der Lunge als bisher“, sagt Timofeev. Die Forschenden hoffen, damit die entscheidenden Momente der Tumorentstehung nachvollziehen zu können. „Das macht es möglich, Schwachstellen von Tumoren früher zu erkennen und Therapien gezielter darauf auszurichten“, so Timofeev.

LuOrgNTT – Strahlentherapie in der Petrischale

Während IPSELON-2 die Entstehung von Krebs erforscht, konzentriert sich „LuOrgNTT“ auf die Frage, wie Strahlentherapien auf gesundes und krankes Lungengewebe wirken. Strahlen sind zwar eine der wirksamsten Waffen gegen Tumoren, können jedoch auch das gesunde Gewebe massiv belasten. „Die Lunge reagiert von Natur aus sehr empfindlich auf Bestrahlung“, erklärt Projektleiterin Professor Dr. Diana Klein vom Universitätsklinikum Essen. „Deshalb kommt es im Zuge von Strahlentherapien sehr häufig zu Schäden am normalen Lungengewebe – von Entzündungen bis hin zu Vernarbungen.“

Die Forschenden wollen mithilfe von Lungen-Organoiden neue Wege finden, das gesunde Gewebe während einer Therapie besser zu schützen. „Wenn wir verstehen, welche Zellen wie reagieren, können wir Medikamente entwickeln, die das Normalgewebe schützen, ohne den Tumor zu schonen“, so Klein. Auf diese Weise könnte die Behandlung nicht nur verträglicher, sondern auch wirksamer werden. Je besser das gesunde Gewebe geschützt ist, desto höher könnte die Strahlendosis am Tumor ausfallen – mit besseren Heilungschancen. „Darüber hinaus eröffnet der Einsatz patientenspezifischer Lungen-Organoide perspektivisch die Möglichkeit, Strahlentherapien individuell auf die Sensitivität einzelner Patientinnen und Patienten zuzuschneiden“, sagt Klein.

Zukunftsvision: Krebs als chronische Krankheit

Die beiden Projekte zeigen, welches Potenzial in der Organoid-Technologie steckt. Mit ihrer Hilfe könnten Therapien in Zukunft patientenspezifisch getestet werden, noch bevor der erste Behandlungsversuch am Menschen erfolgt. Gleichzeitig tragen die Modelle dazu bei, Tierversuche zu ersetzen, indem sie humanbasierte und realistischere Daten liefern. Beide Forschungsteams werden daher vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) im Rahmen der Fördermaßnahme „Alternativmethoden zum Tierversuch“ unterstützt.

Damit ist klar: Organoide sind kein Allheilmittel, aber ein entscheidendes Werkzeug auf dem Weg zu einer präziseren und schonenderen Krebsmedizin. Sie werden nicht allein dafür sorgen, dass Krebs heilbar wird – aber sie könnten entscheidend dazu beitragen, dass er besser kontrollierbar wird und Patientinnen und Patienten länger mit guter Lebensqualität leben können. Projektleiter Timofeev betont: „Wenn wir Lungenkrebs frühzeitig erkennen und effizient unter Kontrolle halten können, dann könnten wir ihn in eine chronische Krankheit umwandeln – ähnlich wie die chronische myeloische Leukämie, die heute mehr als 90 Prozent der Betroffenen ein normales Leben erlaubt.“

Lange Tradition der Alternativmethoden-Förderung

Schon seit 1980 treibt das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) die Suche nach Alternativen zum Tierversuch voran – bislang in mehr als 700 Forschungsprojekten mit einem Fördervolumen von insgesamt rund 240 Millionen Euro. Die geförderten Projekte decken ein breites Spektrum an Ersatzmethoden ab, die auf dem so genannten 3R-Prinzip basieren. Dazu zählen Testverfahren, die Tierversuche entweder vollständig ersetzen (Replacement) oder – falls dies nicht möglich ist – die Anzahl der verwendeten Tiere reduzieren (Reduction) bzw. das Leiden der Tiere verringern können (Refinement).

Für eine bessere Vernetzung aller Akteurinnen und Akteure aus Forschung, Industrie und Regulierungsbehörden hat das BMFTR zudem Anfang des Jahres 2022 die Vernetzungsinitiative „Bundesnetzwerks 3R“ gestartet. Das Netzwerk soll die Entstehung einer erweiterten Community zur Alternativmethoden-Forschung unterstützen, den Wissenstransfer und den Dialog untereinander stärken und somit den Ausbau der 3R-Forschung weiter voranbringen.