Lungenkrebs ist die Krebstodesursache Nummer 1. Doch Lungenkrebs ist nicht gleich Lungenkrebs. Es gibt verschiedene Untergruppen, die auch verschieden behandelt werden müssen. Ein Forschungsteam der Universität Köln konnte kürzlich zeigen: Eine exakte molekulare Diagnostik, also die Suche nach genetischen Ursachen für die Krebserkrankung, gepaart mit einer zielgerichteten, auf die genetischen Ursachen abgestimmten Behandlung, verlängert das Leben von Patientinnen und Patienten mit Lungenkrebs. (Newsletter 71 / Dezember 2014)
Durch eine exakte molekulare Analyse können Patientinnen und Patienten mit Lungenkrebs gezielter als bislang behandelt werden.In der weltweit größten klinischen Studie dieser Art wurde das Lungenkrebsgewebe von mehr als 5.000 Patientinnen und Patienten aus Nordrhein-Westfalen sowohl histologisch, also unter dem Mikroskop, als auch molekular untersucht. Das Ergebnis: Etwa die Hälfte der Studienteilnehmenden trägt spezifische genetische Veränderungen in ihren Tumorzellen, die sich für eine zielgerichtete Therapie eignen. Basierend auf dieser molekularen Diagnose wurden die Patienten anschließend behandelt. Finanziell unterstützt wurde die Studie auch vom Bundesministerium
für Bildung und Forschung (BMBF). Die Idee der Forscher: Durch die exakte molekulare Diagnostik können die Patientinnen und Patienten gezielter und verträglicher als bislang behandelt werden. Sie sprechen von einer personalisierten oder individualisierten Therapie. Der Lungenkrebs wird dabei nicht mehr mit der „groben Streitaxt“ genereller Zellgifte bekämpft. Vielmehr sollen die Krebszellen wie mit dem „Florett“ dort erwischt werden, wo sie Besonderheiten aufweisen. Denn die üblichen Zytostatika, die in der Chemotherapie eingesetzt werden, hemmen zwar das Wachstum der unkontrolliert wuchernden Krebszellen, greifen aber auch gesundes Gewebe an. Viele Patientinnen und Patienten leiden deshalb unter teils schweren Nebenwirkungen. Im Gegensatz dazu unterbricht eine gezielte Krebstherapie zum Beispiel spezifisch Signalwege in Krebszellen, die deren ungehemmtes Wachstum ermöglichen. Mit dem Erfolg, wie er sich beispielsweise in der Kölner Studie gezeigt hat: Patientinnen und Patienten, die eine genetische Veränderung im epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor (EGF-Rezeptor) tragen, leben durchschnittlich zwei Jahre länger, wenn sie mit einem zielgerichteten Tyrosinkinase-Inhibitor behandelt werden, als solche, die eine klassische Chemotherapie erhalten. Die Mutation im EGF-Rezeptor trägt zum unkontrollierten Wachstum der Krebszellen bei. Der Tyrosinkinase-Inhibitor gehört zur Gruppe der Signaltransduktionshemmer und ist ein zielgerichtetes Medikament. Er hemmt spezifisch die übermäßige Aktivität des EGF-Rezeptors in den Krebszellen. Grund genug für die AOK Rheinland/Hamburg, seit April 2014 als erste gesetzliche Krankenversicherung für ihre Versicherten die Kosten für die molekulardiagnostische Untersuchung von Lungentumoren zu übernehmen, wenn sie von einem Partner des „Netzwerks Genomische Medizin Lungenkrebs“ veranlasst wird. Das Netzwerk wurde 2010 von Kölner Lungenkrebsforschern gegründet, um – zunächst in Nordrhein-Westfalen – eine umfassende molekulare Diagnostik für Patientinnen und Patienten mit Lungenkrebs anzubieten und so die Anwendung personalisierter Therapien in der klinischen Routineversorgung zu fördern. Das Netzwerk wächst stetig. Teilnehmer sind Krankenhäuser und onkologische Praxen mittlerweile bundesweit. Im Interview erklärt Professor Dr. Jürgen Wolf, Professor für Translationale Onkologie an der Universität zu Köln und ärztlicher Leiter des Centrums für Integrierte Onkologie Köln Bonn, die Chancen der molekularen Diagnostik.
„Unsere Strategie ist die zentrale Testung verbunden mit einer dezentralen Behandlung“, sagt Professor Dr. Jürgen Wolf, Centrum für Integrierte Onkologie an der Uniklinik Köln.Professor Jürgen Wolf: Der behandelnde Arzt veranlasst die Verschickung von Tumorgewebe, das bei der initialen Diagnostik, zum Beispiel mittels Bronchoskopie, gewonnen wurde, in die Zentrale des Netzwerks nach Köln. Dort werden die klinischen Daten des Patienten – als Grundlage für eine spätere Evaluation – in eine Datenbank gepflegt. Das Gewebe wird im Institut für Pathologie einer umfassenden Genotypisierung auf alle bekannten Treibermutationen unterzogen. Hierzu wird ein auf der Methode des Next Generation Sequencing basiertes Verfahren eingesetzt, das die simultane Diagnostik aller Mutationen mit hoher Spezifität und Sensitivität erlaubt. Wir sprechen von Multiplex-Diagnostik. Der behandelnde Arzt wird dann über den Befund informiert und erhält eine Beratung über die mögliche Therapie. Wenn es bereits zugelassene Medikamente für die gefundene Mutation gibt – und es werden kontinuierlich mehr –, kann die Behandlung dann bei ihm, also heimatnah, erfolgen. Ist dies nicht der Fall, versuchen wir, dem Patienten eine Studie anzubieten. Die Strategie ist also: die zentrale Testung verbunden mit einer dezentralen Behandlung.